Rund die Hälfte aller Partnerschaften geht heute wieder auseinander. In seinem neuen Buch zeigt der Paartherapeut und Psychologe Guy Bodenmann die Ursachen auf und bietet konkrete Hilfestellungen für Paare. Ein Auszug
Veränderter Blick
Zu Beginn sind Partnerschaften meist glücklich. Man schwelgt im Rausch der Hormone und genießt die Intimität und Nähe mit diesem Menschen, neigt dazu, ihn zu überhöhen, findet alles an ihm positiv und bewundernswert, ist fasziniert von gewissen Verhaltensweisen oder gar der gesamten Person. Man glaubt, das große Los gezogen zu haben. Doch leider verliert sich diese Faszination relativ schnell. Die vormals als positiv empfundenen Eigenschaften oder Verhaltensweisen werden nicht nur nicht mehr als solche gesehen, sondern beginnen sogar ins Gegenteil zu kippen. Man beginnt, diese negativ zu bewerten. Sie fangen an zu stören, einen zu ärgern, einen zu langweilen oder man empfindet sie als peinlich. War man früher fasziniert von der Großzügigkeit des Partners, seiner Eloquenz und seinem Humor, sieht man nach einer gewissen Zeit dieselbe Großzügigkeit als Verschwendungssucht und mangelnde Kompetenz im Umgang mit Geld, die Eloquenz als narzisstisches Geschwätz, den Humor als dümmliche Oberflächlichkeit. Man sehnt sich wieder nach Neuem und dem Kick der Einzigartigkeit.
Vieles beginnt einen zu stören, was man früher am Partner bewunderte
Da Stress egozentrisch macht und das Blickfeld einengt, bemüht man sich weniger um die positive Sicht auf den Partner. Man lässt sich gehen und nimmt sich nicht mehr die Zeit, das Gegenüber fair und umfassend wahrzunehmen. Stress lässt einen stärker auf Negatives blicken, schärft den Blick für Unzulänglichkeiten, für Defizite, für Störendes.
Wegwerfmentalität
Wegwerfen ist zu einem Markenzeichen unserer Gesellschaft geworfen – der Wegwerfgesellschaft. Was für das kaputte Radio gilt, gilt auch für die Liebe: Man wirft das Alte weg und besorgt sich etwas Neues. Die Viele-Optionen-Gesellschaft erlaubt dies relativ unkompliziert. Es ist häufig einfacher und billiger, sich etwas Neues zu besorgen, als etwas Altes zu reparieren. Dies ist Ausdruck eines modernen Lifestyles, der auch auf Beziehungen übergreift.
Häufig ist es einfacher, eine Beziehung zu beenden und eine neue einzugehen, als um sie zu kämpfen und ihr Fürsorge und Pflege angedeihen zu lassen. Doch warum wirft man weg, was einem früher lieb und teuer war? Die Antwort ist relativ einfach. Damit eine Beziehung (zum Partner ebenso wie zu Freunden oder Familienmitgliedern) als befriedigend erlebt wird, braucht es ein faires Geben und Nehmen. Kosten (Aufwendungen, Einschränkungen usw.) und Nutzen (Geborgenheit, Liebe, Wachstum, Erfüllung usw.) müssen sich mindestens die Waage halten oder im günstigsten Fall zugunsten von Nutzen verteilt sein. Man möchte, dass eine Beziehung auf Dauer etwas bringt, einen glücklich macht, Wachstum ermöglicht, bereichert. Ist dies objektiv nicht mehr der Fall oder wird dies subjektiv nicht mehr so wahrgenommen, beginnt man, die Beziehung zu hinterfragen, empfindet sie als unbefriedigend und verliert die Freude daran.
Die Mentalität der Wegwerfgesellschaft hat auch vor der Liebe nicht haltgemacht
Hat sich die Unzufriedenheit einmal eingestellt, kann es häufig relativ schnell dem Ende entgegengehen. Man denkt an Alternativen, wirft die alte Liebe weg und hofft, in einer neuen Beziehung wieder all das zu finden, was man in der alten verloren hat. Das stimmt zu Beginn ja häufig auch, doch wird dabei nicht bedacht, dass die neue Partnerschaft den gleichen Gesetzen unterworfen ist und sich nach einiger Zeit meist wieder alles ähnlich präsentiert. Statt aufs Neue zu setzen, wäre es daher häufig ratsam, sich dem Alten und seiner Pflege zu widmen.
Menschen suchen in Beziehungen ein faires Geben und Nehmen
Bevor der Stress uns scheidet – Resilienz in der Partnerschaft
erhältlich im Hogrefe Verlag, Bern
2. Auflage, 272 Seiten
€ 24.95