Ansprüche haben in meiner Arbeit etwas mit Selbstwert zu tun: Ich bin es mir wert, dass … Überhöhte Ansprüche interpretiere ich als Schutzstrategie, um sich nicht verletzen zu lassen. Oder ist es doch einfach nur Egoismus?
Für mich sind überhöhte Ansprüche einfach ein Zeichen dafür, dass jemand Liebe als Tauschgeschäft versteht. Ich bringe etwas ein, meinen „Partner Value“, das ist übrigens das schlimmste Wort aus dem Lexikon der Liebe, und mein Partner muss bitte schön den gleichen Value haben. Unsympathisch. Eine Frau etwa, die jung und schön ist, will einen jungen und schönen Mann, ist er das nicht, kann er diesen Mangel an „Value“ damit ausgleichen, dass er Geld hat. Das ist nicht Egoismus, das ist Narzissmus und Dummheit. Das ist in der Tat die „Mercedes-Mentalität“, von der Sie eingangs sprachen.
Die Therapeutin Ester Perel sagte: „Wofür früher ein ganzes Dorf zuständig war, muss heute der Beziehungspartner allein leisten.“ In extremer Ausprägung sind Ansprüche ein wunderbarer Beziehungsverhinderer, der den Partnersuchenden ohne Schuldgefühle zurücklassen kann: „Ich kann nichts dafür, dass ich niemanden finde, der gut genug für mich ist.“ Ist nicht dieses überromantisierte Ideal der Partnerschaft, die alle meine Bedürfnisse befriedigt, ein gesellschaftlich akzeptierter Grund, Single zu bleiben?
Wenn man sich auf den gesellschaftlichen Mainstream einlässt, dann stimmt das. Unsere Gesellschaft ist eine Marktwirtschaft, und das bestimmt auch die Haltung, was die Liebe angeht. Die Leute denken, sie haben einen gewissen Wert und wollen sich nicht unter Wert verkaufen. Ich habe im Ohr, wie unfreiwillige Singles sich beschweren, dass einer bei ihnen angeklopft hat, der ihren Ansprüchen nicht genügt hat. Da wird dann gern gesagt: „X oder Y hat sich um mich bemüht, was bildet sich x oder y ein, der ist nicht meine Liga, denkt x oder y etwa, dass ich das nötig habe, jemanden zu wählen, der unter meinem Niveau ist?“ Wer so denkt, wird nie glücklich werden. Und will es vielleicht auch nicht, das kann ich nicht einschätzen. Sie sind der Psychologe, Herr Hegmann.
Noch ein Blick aufs andere Extrem: Wenn ich an meinen eigenen Ansprüchen scheitere. Was darf ich eigentlich von mir selbst erwarten? Besteht nicht die Gefahr, dass ich frustriert bin und mein Selbstwert verletzt wird, wenn ich mich überfordere? Ist nicht der Hang zur Selbstoptimierung ein Zeichen, dass zunehmend Menschen von sich selbst zu viel verlangen, um einen passenden Partner zu finden und zu halten?
Generell finde ich es im Horizont des Strebens nach Selbsterkenntnis besser, etwas von sich selbst zu erwarten als vom anderen. Aber „Selbstoptimierung“, das Wort bringt mich auch zur Verzweiflung. Das ist betriebswirtschaftlich. Am Ende ist das die gleiche trübe Suppe. Das einzige, worin man sich selbst „optimieren“ sollte, ist, sein Ego auf seine Erwachsenheit hin zu überprüfen, auf sein Vermögen, Verantwortung zu tragen, weg von der Nabelschau, hin zum Du. Was eine glückliche Liebesbeziehung angeht, ist die Ausbildung der eigenen Menschlichkeit die Aufgabe. Ja: Man soll ein guter Mensch sein, dann findet man auch eine gute Liebe.