Ich kenne eine Frau, sie hatte sehr klare Ansprüche an ihren zukünftigen Mann, sie hat diesen ominösen Burschen über viele Jahre im wirklichen Leben und online erfolglos gesucht. Sie hatte diverse Ansprüche, diese waren unter anderem ästhetischer Natur. Sie selbst kümmerte sich mit Hingabe um ihre Garderobe, um die Einrichtung ihrer Wohnung, um ihren Garten. Sie war nicht oberflächlich, nein, sie war Architektin, ihr Beruf war Gestaltung, und sie wollte ihrem alltäglichen Leben Form geben. Sie hatte wirklich Stil, das muss ich zugeben. Wenn sie auf einen Mann traf, der die falschen Schuhe oder Socken anhatte, war der Mann bei ihr raus, unabhängig davon, wie anziehend er sonst war. Eines Tages lernte sie bei einer Lesung einen hochgebildeten Mann kennen, attraktiv, charmant, ungebunden, an ihr interessiert. Er trug ein bedrucktes T-Shirt. Die Frau erzählte mir verzweifelt, dass dieser Mann ihr ausnehmend gut gefalle, aber das T-Shirt, nein, das gehe einfach nicht, wie könne ein erwachsener Mann ein bedrucktes T-Shirt tragen. Sie könne ihn nicht wiedersehen, obwohl er sie zum Essen eingeladen hat. Sie hat sich dann entschieden, diesem Mann trotzdem eine Chance zu geben und ist – obwohl er ihre Ansprüche nicht erfüllt hat – heute glücklich mit ihm verheiratet.
Eine schöne Geschichte! Doch ist der Ursprung der Ansprüche eben nicht doch eine Schutzstrategie, um bereits Erlebtes, also vor allem das Schmerzhafte, zu vermeiden?
Jetzt komme ich noch zu dem Wort „Erwartung“. Das gefällt mir etwas besser als „Ansprüche“, es hört sich für mein Empfinden weniger arrogant und fordernd an, doch auch nicht liebevoll und zugewandt. „Erwartung“ ist ein strenges Wort. Wenn ich darauf warte, dass der „Richtige“ oder die „Richtige“ mein Dasein erhellt, dann mache ich mir auch ein Bild von diesem Menschen, der damit überfrachtet wird. Das ist wie mit den Ansprüchen, damit tappe ich am Ende wieder in die Falle, dass der Mensch längst in meinem Kopf ist, bevor er auf der Bühne meines Lebens erscheint. Der Mensch gehört aber auf die Bühne des Lebens, dort wird geliebt, nicht im Kopf. Ich empfehle, sich von Ansprüchen und Erwartungen zu befreien.
Was ich weiterhin empfehle: Sich zu sehnen! Sehnen zielt auch auf die Zukunft, sie zielt auch auf den Menschen, der mit mir zusammen sein wird. Sehnsucht ist unbestimmt, sie lässt Raum, sie öffnet Kopf und Herz, sie öffnet für die Liebe, für die wahre Liebe, nicht für Selbst-Bespiegelung.
Und damit beantworte ich Ihre Frage, ob die Liebe nicht dorthin fällt, wohin sie fällt. Genauso verhält es sich. Sie fällt, das beweist das Leben. Wie viele Frauen und Männer erzählen einem exakt diese Liebesgeschichte: Dass sie sich ausgemalt, erwartet haben, dass ihr Partner dick oder dünn ist oder arm oder reich oder blond oder dunkelhaarig – und dann kam alles anders, das Gegenteil kam, und es war gut. So geht Liebe.
Wir führen heute mehr Beziehungen als unsere Eltern und Großeltern. Jede Trennung hinterlässt Narben und macht es schwerer, auf Andere offen und vertrauensvoll zuzugehen. Werden durch schmerzhafte Erfahrungen nicht die Ansprüche gerechtfertigt?
Das wäre ja furchtbar. Glauben Sie, dass jede Trennung Narben hinterlässt? Es gibt auch leichte Trennungen ohne großes Drama, manchmal geht die Liebe einfach still und im beidseitigen Einvernehmen aus dem Haus.
Doch, ich denke, jede Trennung hinterläßt Spuren. Menschen wünschen sich Sicherheit. Je häufiger sie erleben, dass sie diese nicht erhalten, umso mehr Schutzstrategien entwickeln sie, nicht erneut verletzt zu werden. Das beginnt bei Selbstoptimierung und endet im schlimmsten Fall mit dem Gefühl, nie wieder vertrauen zu können.
Ich traue mich jetzt, einmal etwas Banales zu sagen, was allerdings einen hohen Wahrheitsgehalt hat. Angst und Liebe, das schließt sich aus. Liebe ist nichts für Feiglinge. Ich will nicht sagen, dass jemand, der schmerzhafte Erfahrungen gemacht hat, feige ist. Das wäre gemein. Doch er verschließt sich. Wer lieben will, muss aber mutig und offen sein.
Anstatt seine Erwartungen neurotisch hochzuschrauben und sich damit ins Reich der Einsamkeit zu katapultieren, sollte der Mensch wieder Mut entwickeln, das Trauma verarbeiten, die Opferhaltung überwinden. Das ist doch Ihr Job, lieber Herr Hegmann, Sie helfen jemanden, eine Trennung zu verstehen und wieder wie Phönix aus der Asche zu gehen und wieder zu lieben. Ich halte das jedenfalls für möglich.