Formen der Angst (Klassifikation, Diagnosen)
Nach dem Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der aktuell noch gültigen Fassung (ICD-10) werden folgende Angststörungen unterschieden (vgl. für Details (3) & (4)):
a) Generalisierte Angststörung: Exzessive Ängste und Sorgen
Bei der generalisierten Angststörung (5) leiden die Betroffenen unter anhaltenden Sorgen bzw. Ängsten, die viele Lebensbereiche umfassen und somit nicht auf bestimmte, einzelne Lebensbereiche beschränkt sind. Andauerndes Grübeln und Gedankenkreisen über mögliche Bedrohungen oder bevorstehende Katastrophen stehen im Vordergrund. Dabei geht es zwar in der Regel um reale Bedrohungen, wie z.B. Autounfälle und Krankheiten, die Furcht davor ist allerdings unrealistisch übersteigert und nimmt die Betroffenen vollständig und wiederkehrend ein. Häufig werden die Ängste von Schlafstörungen und einer dauerhaften Anspannung und Unruhe begleitet. Zudem können Übelkeit, Druckgefühle im Bauch oder Kloßgefühle im Hals, Mundtrockenheit oder Muskelverspannungen auftreten. Auch kalte und feuchte Hände können körperliche Begleiterscheinungen sein.
b) Panikstörung: Wiederkehrende schwere Angstattacken
Im Gegensatz zur generalisierten Angststörung treten solche körperlichen Symptome bei einer Panikstörung anfallsartig auf. Plötzliche Atemnot, Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Schwindel oder Gefühle der Ohnmacht, Übelkeit oder auch die Furcht, zu sterben oder verrückt zu werden, können minutenlang (in Einzelfällen auch länger) anhalten. Oft entwickelt sich eine Angst vor der Angst bzw. der nächsten Panikattacke oder die Betroffenen suchen aus Angst vor einer lebensbedrohlichen Erkrankung (z.B. einem Herzinfarkt) die nächste Notfallambulanz auf.
c) Agoraphobie (mit oder ohne Panikstörung): u.a. Angst vor öffentlichen Plätzen
Die Panikattacken können überraschend in jeder beliebigen oder auch in spezifischen Situationen auftreten. So haben bei einer der häufigsten Angsterkrankungen, der Agoraphobie, die Betroffenen Angst davor, in bestimmte Situationen oder an Orte geraten zu können, in denen sie sich hilflos und ausgeliefert erleben oder nicht schnell genug einen Ausweg finden oder Hilfe holen könnten oder dass diese Hilfe peinliches Aufsehen erregt. Häufig handelt es sich bei diesen angstbesetzten Orten und Situationen um öffentliche Plätze (daher der Name „Platzangst“), Menschenmengen, Kaufhäuser, Kassenschlangen, den Bus oder auch (v.a. beim alleine reisen) entfernte Orte. Die Symptome entwickeln sich in der Regel zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr und verlieren sich oft nach dem 45. Lebensjahr.
d) Spezifische Phobien: z.B. Angst vor Spinnen, Blut oder engen Räumen
Spezifische Phobien finden sich ebenfalls sehr häufig in der Allgemeinbevölkerung, führen aber nicht immer zu einer relevanten Beeinträchtigung der allgemeinen Lebensqualität, da sie sich nur auf spezifische (isolierte) Objekte und Situationen beziehen. Es gibt eine Unzahl von Phobien, dazu gehören die Angst vor bestimmten Tieren (am häufigsten vor Spinnen, Hunden, Katzen, Mäusen), Höhenangst, Flugangst, Angst vor engen Räumen (Klaustrophobie) sowie Blut- und Verletzungsphobien, um nur einige Beispiele zu nennen.
e) Soziale Phobie: Angst vor sozialen Situationen bzw. Bewertungen
Als letzte häufigere Form einer Angststörung wollen wir an dieser Stelle die soziale Phobie erwähnen, die gelegentlich auch als extreme Form der Schüchternheit bezeichnet wird. Menschen, die unter dieser Angststörung leiden, fürchten sich vor Situationen, in denen sie von anderen Menschen beobachtet werden könnten, z.B. vor anderen eine Rede halten, mit einem Vorgesetzten, einem Arzt oder einem Behördenmitarbeiter sprechen, im Beisein von anderen telefonieren oder auch in einem Restaurant essen gehen. In der extremsten Ausprägung meiden Betroffene soziale Situationen und den Kontakt zu anderen Menschen ganz generell (Vermeidungsverhalten). Gelingt ihnen das nicht, so erröten sie typischerweise, zittern, müssen ständig zur Toilette oder haben Angst davor, erbrechen zu müssen.
Ist meine Angst noch normal?
Jeder kennt Angst. Angst gehört zum Leben dazu und sie ist wichtig, da sie uns sicher durch die Gefahren des Lebens leitet. Nicht jeder, der gelegentlich vor einer Spinne zurückschreckt, der ungern vor vielen Menschen eine Rede hält, nicht völlig entspannt in einem Fahrstuhl steht oder im Flugzeug sitzt oder sich Sorgen macht, wenn der Partner nicht auf die Minute genau von der Arbeit nach Hause kommt, hat gleich eine behandlungsbedürftige Erkrankung. Angst wird dann pathologisch, wenn Betroffene den allergrößten Teil des Tages nur an ihre Ängste denken und die Lebensqualität und Bewegungsfreiheit dadurch deutlich eingeschränkt werden. Kommen depressive Episoden oder gar Suizidgedanken hinzu oder werden Beruhigungsmittel wie Alkohol oder Tabletten eingesetzt, um die Angst zu beherrschen, lässt sich schwerlich noch von einer normalen Angstreaktion sprechen. Oft werden durch eine Angststörung (un)mittelbar auch die Beziehung oder der Beruf in Mitleidenschaft gezogen. Nicht immer hat das Umfeld Verständnis für die von außen übertrieben erscheinenden Ängste.