Nicht weil wir nicht wollten oder weil wir angeblich beziehungsunfähig wären, wir wissen einfach gar nicht mehr was Beziehungen ausmacht. Wie glauben zu wissen, was Liebe ist. Nämlich fantastisch. Und am besten auf den ersten Blick. Sonnenuntergänge in meerblauen Augen. Früher ritt das Paar am Strand von Malibu durch die Wellen, heute nomaden von allen Zwängen befreite Aussteiger in Designer-Körpern zu den meist fotografierten Urlaubskulissen.
Künstliches Liebesglück in jeder Timeline
Ich nenne das Disneyfizierung der Liebe. Weil wir den Kitsch verinnerlicht haben. Prinzessin trifft Prinz (oder umgekehrt und selbstverständlich in allen möglichen Konstellationen) ist zu einem Glaubenssatz geworden. Perfektion haben wir uns verdient, weil wir schließlich alle etwas Besonderes sind. Und weil jeder von alles erreichen kann. Das wird uns schließlich überall erzählt. Wir können in allem besser werden, alles lässt sich optimieren. Bis es perfekt ist. Weniger ist normal – das klingt bereits so abgehängt und erfolglos. Da bleiben wir lieber allein und finden Selbstverwirklichung in Sinnsuche und Life-Hacks.
Dass es Perfektion nicht wirklich gibt, das weiß jeder. Aber wir erleben es leider ununterbrochen anders, so als würde sie – mit genügend Willen, Ausdauer und Schmerzverdrängung – auf uns warten. Um die nächste Ecke. Auf dem nächsten Plakat. Und in der Timeline sowieso.
Jüngst hat eine Studie in England herausgefunden, dass wir uns meistens nicht wirklich toll fühlen, wenn wir nach Inhalten in sozialen Medien suchen. Wir sind gelangweilt, vielleicht frustriert und wünschen uns Ablenkung, Beistand, Gesellschaft und Motivation. Was wir dort jedoch finden sind längst keine echten Menschen mehr, sondern kontrollierte Selbstdarstellungen: Interpretationen von Menschen, die sich präsentieren, damit wir ihre Freunde werden oder bleiben. Sozial erwünscht posten sie den Traumstrand vom Honeymoon, das Gala-Essen zur Date-Night und den Cocktail auf der Rooftop-Bar in Bangkok.
Selbstverwirklichung in Sinnsuche und Life-Hacks
Die Diskrepanz zwischen unserem Fühlen und dem Erleben der Freunde – supersuper – könnte gar nicht größer sein. Was macht das aus uns? Glückliche Menschen? Oder Zweifelnde, die sich mit ihren vorgeblich außerordentlich glücklichen Freunden vergleichen? Dabei muss es nicht um Neid gehen, obwohl etwas Missgunst sicher auch aufkommen mag, denn vor allem zeigt es uns: Die haben es geschafft, die sind ungleich erfolgreicher als wir und sie leben den Traum! Daran schließt sich umgehend die Frage: „Warum klappt es bei uns nicht?“ Die Antwort: „Weil wir uns noch nicht genug Mühe geben!“
„Reicht mit nur vier Stunden Arbeit pro Woche!“, wird uns versprochen. Hochleistungs-Höhepunkte im Schlafzimmer sowieso. „Fit, erfolgreich und sexy in drei einfachen Schritten.“ Wir würden den Quatsch vermutlich nicht glauben, würden wir nicht permanent gezeigt bekommen, dass er offensichtlich doch möglich ist. Schließlich trinken Anja und ihr Sven ja wirklich gerade ihren Mai Tai mit Blick über den Chao Phraya! Sie haben allerdings nicht die halbe Stunde gefilmt und gepostet, in der sie zankend wegen des Navigationssystems durch die Stadt geirrt sind, um die Bar zu finden. Das Ziel zeigen: ja. Den Weg dorthin: och nö!