Romantische Liebe ist nicht auf die Anfangsphase einer Beziehung beschränkt, findet Gastautor André Martens. Wir müssen uns nur ein wenig Mühe geben
Man hört es immer wieder: Die romantische Liebe ist tot, sie ist ein Hirngespinst! Alles was zähle, sei, den schwierigen Sprung nach der Phase anfänglicher Verliebtheit zu meistern. Den Sprung in den Alltag des (Fast-)Immergleichen. Oder freundlicher ausgedrückt: des Wohlvertrauten. Dann muss man akzeptieren lernen, dass der so gut schmeckende Hormoncocktail der ersten Monate ausgetrunken ist. Ein kühles Bier schmeckt fast ebenso gut…
Die Bestreiter der romantischen Liebe schwingen auch gerne die „Evolutionskeule“. Unser Werbungs- und Paar(ungs)verhalten sei ja ohnehin genetisch festgelegt und diene, wie auch immer es sich konkret auspräge, nur einigen wenigen Zwecken: der Reproduktion und (möglichst erfolgreichen) Aufzucht des Nachwuchses. Romantische Liebe wird hierfür nicht benötigt. Sie ist ein eigenwilliges Artefakt, schön vielleicht, aber schnell verpufft. Und wenn man an ihr festhält, wenn sie sich am Ende doch als Sackgasse des Herzens erweist, dann führt sie leicht einmal in die Depression.
Ich kann all das nicht mehr hören!
Um es vorweg zu sagen: Ja, ich bin bekennender Romantiker. Und diese „Romantik“ umfasst eben – aber nicht nur – die Vorstellung und das (bewusste) Erschaffen eines Idylls, das andere gerne als Seifenblase und Tagtraum abtun. Hundert flackernde Teelichter gehören ebenso dazu wie ewig lange Blicke, die die Tiefe hinter dem Blau (Grün, Braun, Schwarz,…) der Iris zu ergründen suchen, Momente des Gleichmuts und stiller Eintracht, wie auch Schmusen am Strand bei Mondlicht. Anachronistisch, idealistisch, naiv? Ja, vielleicht. Ein wenig. Aber eine Zutat, die ich nicht einfach aufgeben möchte, nur weil die Hormone nicht mehr von sich aus mittanzen wollen. Dann müssen wir sie eben zum Tanz auffordern.
Wir sprechen hier ja von (romantischer) Liebe, nicht „bloß“ von einer festen Partnerschaft, die den „wechselseitigen Gebrauch“ der Sexualorgane (O-Ton Immanuel Kant) ermöglicht. „Liebe, romantisch“: Ein Topos, der von vielen als out-dated und völlig überholt betrachtet wird. Aber warum bloß? Vielleicht weil sich hinter der rigiden Bestreitung der Möglichkeit echter, erfüllender, romantischer Liebe diverse Ängste vor eben jener verbergen, die gut in unsere heutige Zeit passen. Die Angst vor absoluter, bedingungsloser Hingabe (letztere wird, vielleicht mit Ausnahme des religiösen Bereichs, inzwischen von vielen als geradezu „pathologisch“ verschrien); die Angst vor echter Nähe, die überhaupt erst Kontakt – im wahrsten Sinne des Wortes – herzustellen vermag; die Angst vor Anstrengung und Schweiß (wenn eine bequeme, grundsolide Partnerschaft doch so viel leichter zu haben ist), neben einigen weiteren.
Ein Missverständnis der zahlreichen Kritiker der „Romantik“ scheint mir ihre Gleichsetzung von romantischer Liebe mit einem ewigen, maximal intensiven und quasi ununterbrochenen Glückszustand des Herzens zu sein. Dabei gibt es doch sogar oft am Anfang, noch beim Schlürfen des Hormoncocktails, Schwankungen des Glücksgefühls. Unsicherheit, Zweifel und oft auch Ängste toben im Inneren des Neu-Liebenden ebenso wie Gefühle der Euphorie und Freude. Beides befruchtet einander. Und auch Alltag kann herrschen. Die Struktur unseres Lebens, seine Eckdaten, ändern sich ja in der Regel nicht fundamental, nur weil wir jemanden kennen und vielleicht lieben gelernt haben. Das heißt: romantische Liebe ist nicht immer ein „Maximalzustand“. Und das muss sie auch gar nicht sein, um zu gefallen und unser Leben wertvoll(er) zu machen.
Und auch mit Schwarzweißmalerei – oder besser: Rosarot – hat romantische Liebe nicht unbedingt zu tun. Nur weil man ein Liebesideal anstrebt, das auf den ersten Blick ein wenig kitschig und weltfremd anmuten mag, heißt das nicht, dass man sein Gegenüber entweder glorifizieren oder – wenn andere Seiten zutage treten – zum Mond schießen muss. Idealisiert sollte ein anderer Mensch niemals werden. Aber was spricht dagegen, das Modell der romantischen Liebe an sich zu idealisieren?
Die romantische Liebe ist mehr als ein Hormoncocktail
Oben sprach ich außerdem von Anstrengung und Schweiß. Ich glaube, dass die romantische Liebe das (auch) ist, zumal nach der Phase anfänglicher Euphorie, in der alles Schöne wie von alleine abzulaufen scheint. In meinen Augen ist es kein Widerspruch, Mühe und Romantik in einem Atemzug zu nennen. Denn obwohl es uns am Anfang leichter fallen mag, in den „romantischen Modus“ zu schalten, so ist dies auch später noch möglich.
Hierfür sind Bewusstsein und Wille notwendig. Raus aus dem bequemen Trott der stabilen Beziehung, hinein in ein emotionales Abenteuer. Ausflüge in die wilde Natur statt des gemütlichen Fernsehabends mit Chips und Bier. Sich das Spielerische, Leichte bewahren und mit der Vertrautheit der gereiften Liebe verbinden. An sich arbeiten und nicht die Träume und Wünsche, die man anfänglich an eine Beziehung hatte – und deren Erfüllung man vielleicht sogar schon eine Zeitlang erleben durfte – verraten und aufgeben. All das ist anstrengend, oftmals mühsam. Langfristige romantische Liebe ist sicherlich nicht ohne „Investition“ zu haben. Aber für die meisten von uns, wage ich zu behaupten, stellt sie doch ein Sehnsuchtsziel dar, das anzustreben und zu erreichen wir uns tief im Herzen wünschen. Was ist schlecht am Idyll und Idealismus? Warum alle Viere von sich strecken und nur noch die Evolution und bequeme Gewohnheit walten lassen? Hieran ist gewiss nichts falsch, aber es muss eben nicht alles sein.