Mit Depressionen lieben: Erfahrungsbericht einer Betroffenen

So liebt es sich mit einem depressiven Partner
Die Liebe ist nicht erloschen, sondern nur vom Dunkel überschattet
Kann ein Mensch, der keine Lebensfreude mehr verspürt, überhaupt lieben? Ist er liebes- und beziehungsfähig? Die bekannte Autorin Jana Seelig („Minusgefühle“) berichtet von ihren eigenen Erfahrungen

Liebe heilt keine Depression

Auch wenn ich mir das ganz oft wünsche, kann ich selbst in der glücklichsten Beziehung in Phasen verfallen, in denen es mir alles andere als gut geht. Ich höre dann allerdings nicht auf zu lieben. Ich kann zwar nicht mehr fühlen, was in mir drin wirklich passiert, doch ich kann Zärtlichkeiten auf der Haut spüren und anderen Menschen Wärme spenden, selbst wenn in mir eisige Gefühlskälte herrscht, die auf die Depression zurückzuführen ist.

Für das Umfeld ist das schwer und vor allem schwer zu verstehen, obwohl ich immer sage, dass das Gefühl einer richtigen Depression eigentlich jeder kennt. Es ist dem Liebeskummer nämlich recht ähnlich, diesem ganz schlimmen, bei dem man nicht richtig schlafen, essen oder denken kann und glaubt, nie wieder glücklich zu werden. Eine depressive Episode lässt sich nicht mit Umarmungen, heißem Tee oder Schokolade bessern, was bei Liebeskummer manchmal vielleicht schon der Fall sein kann und doch ist man dankbar für jeden Menschen, der wenigstens versucht, da zu sein oder bleibt, selbst wenn es uns echt über Wochen hinweg miserabel geht.

Niemand soll sich aufopfern für uns, denn behandeln können eine Depression sowieso nur Ärzte und Therapeuten. Zu sehen, wie ein Mensch sich selbst nahezu aufgibt, um für den anderen da zu sein, kann alles noch viel schlimmer machen, weil man selbst handlungsunfähig ist. Dabei brauchen wir niemanden, der unser Leben mit in die Hand nimmt, sondern lediglich jemanden, der uns auch in der Zeit seine Hand reicht und der versteht, dass die Liebe, die in uns ist, nicht erloschen ist, sondern nur von einem Dunkel überschattet, das zu diesem Zeitpunkt stärker ist als wir.

Depression und Liebesfähigkeit

Allen Menschen mit Depressionen, die ich bisher kennenlernen durfte, ist vor allem eins gemein: dass sie die Momente, die nicht von ihrer Krankheit überschattet werden, ganz besonders intensiv genießen. Und dass sie durchaus auch während dunkler Tage dazu fähig sind, aus vollem Herzen zu lieben, auch wenn man das nicht immer sieht.


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