Es ist Herbst, langsam wird es draußen immer kälter und die Sonne verschwindet jeden Tag ein Stückchen früher vom Himmel. Schnell noch eine Dating-App öffnen, vielleicht findet sich da jemand, mit dem man zusammen überwintern kann, aber – oh weh, das Lächeln von dem Typen geht ja gar nicht, und der da? … könnte was sein, aber, ach nein, da steht, er ist nur 1,70 m groß. Zu klein für mich. Ich gebe es ja zu: Auf der Partnersuche bin ich manchmal ganz schön oberflächlich.
In Netzwerken wie Tinder entscheiden wir nur anhand eines Profilbildes und der wahrgenommenen Attraktivität, ob wir jemanden als Partner in Betracht ziehen und selbst wenn es zu einem Treffen kommt, kann es immer noch passieren, dass wir jemanden gnadenlos aussortieren, weil uns Zähne, Frisur oder die Sonnenbrille nicht passen. Bei so viel Oberflächlichkeit stellt sich nicht nur die Frage, ob wir aus lauter Eitelkeit möglicherweise die Menschen übersehen, die zu uns passen, sondern auch, wie es ist, wenn man Menschen nicht anhand der visuellen Wahrnehmung beurteilen kann?
Wie verlieben sich sehbeeinträchtigte Menschen und was definieren sie als Attraktivität?
Beziehungsweise-Autorin Nina Ponath hat für uns ein Gespräch mit Youtuber und TikToker Erdin aka Mr. Blindlife geführt.
Erdin, du bist sehbehindert. Welche Rolle spielt Attraktivität für dich?
“Ich bin von Geburt an “gesetzlich blind”, das heißt, ich sehe noch ungefähr zwei Prozent. Wenn man mich fragt, wie man sich das vorstellen soll, sage ich immer: Das ist so, wie wenn ihr die Überschriften in der Zeitung lesen könnt, die kleine Schrift aber nicht. Ich sehe an Menschen die Silhouette – den Mund, das Lächeln, Details wie die Augenfarbe kann ich nicht erkennen. Attraktivität und Zuneigung entstehen bei mir aber genauso über die Sinne wie bei anderen Menschen. Wir nehmen ja alle unsere Umwelt über die Sinne wahr, und wenn du nicht sehen kannst, ist es dein Gehör, das die Hauptrolle spielt und auf das alles aufbaut.
Der erste Kontakt, wenn ich jemanden kennenlerne, ist immer die Stimme – also, von Ausnahmen, bei denen ich jemanden über den Haufen laufe, mal abgesehen. Ob ich jemanden attraktiv finde, entscheidet die Stimme, die Art und Weise, wie jemand redet. Auch das worüber natürlich, aber im ersten Augenblick, ist es wirklich nur der Klang. Wenn ich jemanden höre, fühle ich die Person. Bei mir gibt es keine Liebe auf den ersten Blick, sondern nur auf den ersten Laut. Klingt das jetzt zweideutig?”