Mein Eindruck ist eher, dass viele Menschen Sehnsucht mit Liebe verwechseln. Sehnsucht ist nahe am Leid: Viele unglücklich Verliebte meinen, sie zelebrieren die Liebe, wenn sie einen unerreichbaren Schwarm nicht aufgeben, aber eigentlich glorifizieren sie ihre Verletzungen. Gewiss tun sie das, weil sie ihrem Selbstwertgefühl eine Begründung geben müssen, dass sie sich durch immer neue Zurückweisungen nicht aufhalten lassen.
Eva Illouz hat Recht, wenn sie sagt, dass wir im Partner den perfekten Spiegel suchen. Der Partner ist die Antwort auf die Frage: Wer bin ich? Es gab Epochen in der Geschichte der Liebe, da war exakt das der Auslöser für die Liebe: Selbsterkenntnis, Selbstoptimierung. Deshalb haben die Minnesänger sich das Herz aus der Seele gesehnt und ihre Liebste angesungen, um am Ende daran zu reifen. Aus all diesen Liebesmotiven speist sich die Bedeutung der Liebe für uns, ihre immense Macht. Der Mensch ist ohne Liebe eine armselige Kreatur, und das weiß auch der härteste Knochen, zumindest in seinem Unterbewusstsein.
Die amerikanische Anthropologin Helen Fisher hat die Liebe mit naturwissenschaftlichen Methoden erforscht. Sie hält die „romantische Liebe“, wie sie die Verliebtheit nennt, für den stärksten Trieb im Menschen überhaupt. Es liegt auf der Hand, dass diese Naturgewalt „Liebe“ glücklich wie unglücklich machen kann. Denn: Aus dem unter die Haut gehenden Glück, das sie zu geben vermag, entwickelt sich das Bedürfnis, das Liebesglück zu einem dauerhaften Zustand zu machen, den Flow in Beständigkeit zu transformieren. Und das liegt eben nicht immer in unserem Ermessen. Wir sind angewiesen auf unser Gegenüber – verflüchtigen sich dessen Gefühle, verflüchtigt sich unser Glück. Insofern liegt in der Liebe eine unglaubliche Zumutung an die Menschen. Wir können jederzeit aus dem Himmel in den Abgrund stürzen, und das tut richtig weh. Es ist eigentlich eine Heldentat, dass Menschen sich nach der Überwindung von Liebesleid wieder auf eine neue Liebe einlassen. Liebe ist in der Tat nichts für Feiglinge.
Wir können uns sicher darauf einigen: Liebe kann glücklich machen, Liebe kann schmerzvoll sein. Wie lange muss man der Liebe wegen Schmerzen ertragen?
Die Frage ist falsch. Trotzdem ist es wichtig, sie zu stellen, weil ich mit der Antwort einen Kardinalfehler zur Sprache bringen kann, den meines Erachtens die meisten Menschen begehen. Sie lieben auf einen Zweck hin, nicht um der Liebe willen, nicht um des Liebens willen, sondern um geliebt zu werden. Sie fragen wie Kinder: Wie lange muss ich „brav“ sein, bis der Weihnachtsmann kommt? Das ist absolut verständlich, doch ich empfehle erwachsenen Menschen in puncto Liebe, sich an diesem Wunsch abzuarbeiten, ihn zu relativieren und zu korrigieren. Das gelingt, wenn man über die Liebe nachdenkt, sie aus dem Bereich des rein Emotionalen herausholt. Was ist denn Liebe? Misst sie sich an dem Maß, was ich zurückbekomme? Eben nicht. Das hat der Philosoph Erich Fromm in seinem genialen Buch „Die Kunst des Liebens“ erklärt. Wer bei der Liebe mit Kalkül vorgeht, wer sich quasi ausrechnet, ob er wieder glücklich wird, wenn er dem geliebten Menschen zugesteht, dass er durch ihn leidet, wer also seinen Lohn sucht für seine Entbehrungen und darauf spekuliert, dass er am Ende auf „seine Kosten“ kommt, der irrt sich im Wesen der Liebe. Liebe ist kein Deal! Klartext: Man kann einen Idioten oder eine Idiotin lieben. Natürlich muss der, der „trotzdem“ liebt, auf sich aufpassen und seine Grenzen ausloten, das ist ein fortwährender Prozess. Meiner Erfahrung nach geben die Leute allerdings zu schnell auf. Liebe ist nicht nur nichts für Feiglinge, sondern auch nichts für Faulpelze.
Ist das nicht gefährlich? Dopamin, Seratonin und Oxytocin, die Botenstoffe der Liebe, sorgen nachweislich für schlechte Entscheidungen. Man kann es nennen „Rosarote Brille“ oder „Fatale Attraktion“. Kann der liebende Mensch überhaupt klar denken und urteilen und sich selbst schützen?
Da stoßen Sie quasi in ein Wespennest. Liebende wurden in der Literatur immer wieder mit Narren verglichen, weil sie vor Liebe blind waren und verwirrt durchs Leben taumelten. Der Liebende und der Denkende, das ist zumindest in der Dichtung und auch in Hollywood-Filmen ein Widerspruch – „Amour Fou“ nennt man das, verrückte Liebe. Aber Kunst und Hollywood geben uns nur Vorstellungen über die Liebe wider, das heißt nicht, dass diese Bilder in Stein gemeißelt sind.