Warum wir Liebesbriefe schreiben sollten

Große Gefühle auf Papier

Als Smartphones und Flatrates die Macht übernahmen, war es nicht mehr weit her mit der Romantik. Es war nichts Besonderes mehr, eine Nachricht zu erhalten. Botschaften wurden Ramschware, Zeitvertreib. Das Piepsen des Telefons hatte seine Romantik verloren. Der ständige Kontakt kostete nichts, außer Zeit. Doch hier liegt das Problem. Ist man ständig in Kontakt, bleibt keine Zeit, den anderen zu vermissen. Er ist ja irgendwie immer da, immer nur eine Whats App Nachricht entfernt. Die blauen “gelesen”-Häkchen haben jegliche Romantik des Wartens und der Unsicherheit entfernt. Sie sorgen nun eher dafür, dass wir uns wahnsinnig machen, wenn wir NICHT direkt eine Antwort erhalten. Was früher alle drei Tage eine teure SMS war, ist heute alle drei Minuten eine dahingeschluderte Nachricht. Ein Smiley, ein Daumen nach oben, das war‘s. Der Wert unserer Kommunikation hat gelitten. Es gibt zu viel davon.

Wir kommunizieren 24/7 mit unserem Umfeld, sind ständig erreichbar. Aber über was reden wir mit unserem Partner, wenn der doch schon weiß, wie unser Tag gelaufen ist? “Mein Chef hat mir schon wieder so eine nervige Aufgabe aufgedrückt.” “So wie gestern? Na wenigstens scheint heute die Sonne!” So vertreiben wir uns den langweiligen Arbeitstag mit Kommunikation. Es lenkt ab. Doch über was reden wir zu Hause am Küchentisch? Da ist nichts neues mehr, nichts spannendes, was unser Partner nicht schon wüsste. So schweigen wir uns an, und starren auf unsere Telefone. Unser Leben läuft schriftlich ab. Und jeder ist darüber informiert. Alles beschleunigt sich. Heute wissen wir oft schon nach wenigen Stunden, ob der neue Kontakt, den wir zu Beginn so interessant fanden, wirklich so interessant ist. Einfach ein, zwei Stündchen hin und her schreiben, fertig. Mensch abgefertigt, hat eben nicht gepasst. Wir lassen uns keine Zeit mehr. Vielleicht braucht es das langsame Kennenlernen ja, das Warten. Wartet man, hat man Zeit. Zeit sich über sich selbst klar zu werden. Was will ich eigentlich? Was finde ich spannend an meinem Gegenüber? Stattdessen hetzen wir von Kontakt zu Kontakt, um nur keine Zeit zu verlieren. Wir tauschen eine unbedeutende Zeile Text gegen einen Smiley.

In den Worten zeigt sich meine ganze Seele, manchmal sogar Tränen

Wo ist die gute alte Briefromantik geblieben? Seiten voll mit Gefühlen und Bekenntnissen. Wo sind die auch nach Jahren noch sichtbaren Tränen auf Briefpapier, die wir versuchten unauffällig zu trocknen? Alles ersetzt durch ein gelbes Gesicht mit Herzchen in den Augen. Wir sollten lernen wieder zu warten. Wir sollten unserem Gegenüber Zeit geben, um Gedanken und Gefühle zu formulieren. Doch heute sehen wir zwei blaue Häkchen und stempeln eine zu langsame Antwort als Desinteresse ab.

Vielleicht sollten wir uns auf die “gute, alte Zeit” besinnen und Zettel und Stift hervorkramen. Geschriebene Worte, in unserer eigenen Schriftart. Krumm und schief, wie wir es nun einmal auch sind. Unperfekt. Persönlichkeit auf Papier anstatt Smileys, welche die ganze Welt benutzt. Zeigen wir wer wir sind und was wir für jemanden fühlen! Ganz ohne Bits und Bytes, ganz ohne HDGDL und ILD. Für die ganz digitalisierten unter euch: Das Porto für einen Standardbrief beträgt aktuell 0,70 €. Ich bin gerade selbst schockiert, dass ich das googlen musste. Wird wohl für mich auch wieder Zeit, das alte Briefpapier raus zu kramen und mich in Schönschrift zu üben.


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