Warum wir Liebesbriefe schreiben sollten

Meinen ersten Liebesbrief schrieb ich mit fünf Jahren

Die digitale Revolution erwischte mich mit knapp 12 Jahren. Meinen ersten Freund lernte ich, wie auch schon zu dieser Zeit üblich, im Internet kennen. Das Wort „Taschengeld“ konnte ich ab diesem Zeitpunkt schon aus meinem Wortschatz streichen, die minütliche Abrechnung des Internets, kostete mich mein komplettes damaliges „Vermögen“. Die Telefonleitung war ständig besetzt, sobald meine Eltern das Haus verließen. “Typisch Samstagabend, das Internet ist voll und ich komme nicht rein!” – darüber würde jeder Jugendliche heute nur lachen. Das erste Handy durfte ich mit 14 Jahren mein Eigen nennen. Lange gewünscht und dank regelmäßiger Quengelei endlich bekommen. 160 Zeichen um irgendwem seine Liebe zu erklären. Ein “Ich liebe dich” entspricht gerade mal 14 Zeichen. Das reichte nicht, um eine Nachricht zu füllen. Schließlich bezahlte man für 160 Zeichen. Mit Belanglosigkeiten, Smileys, oder anderen Späßchen wurden die noch übrigen Zeichen gefüllt. HDGGGGGGGGDL! Je mehr Zeichen man noch frei hatte, umso “ganzer” hatte man den Adressaten lieb. Doch jede Nachricht war etwas Besonderes. Jedes Aufleuchten des Telefons bedeutete, eine andere Person investierte gerade knappe 20 Cent, um etwas mitzuteilen. Ganz zu schweigen von der benötigten Zeit, die für das Tippen drauf ging. Vor der Erfindung von T9 musste jeder Buchstabe mühsam einzeln durch wiederholtes Drücken der Tasten auf den Bildschirm gezaubert werden. Briefe hatten ausgedient. Ab sofort trug man den Briefkasten sozusagen in der Hosentasche mit sich rum. Zumindest so lange die Prepaid-Karte aufgeladen war und das Telefon Empfang hatte. Antwortete jemand über eine längere Zeit nicht, nahm man es ihm nicht übel. Wer lief schon ständig mit Guthaben auf dem Telefon umher? Ich kannte damals niemanden. Wir überlegten uns zehn Mal, ob diese Nachricht wirklich sein musste. 


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