Sich der eigenen Gedankenwelt bewusst zu werden, ist ja durchaus ein therapeutischer Ansatz. Ist Ihr Buch auch ein Leitfaden zur Selbstheilung?
Ich bin davon überzeugt, dass nur eine großzügige Haltung uns selbst gegenüber auch Veränderung bewirken kann. Wer denkt, mangelhaft zu sein und sich damit identifiziert, wird seinen eigenen Blockaden ungern begegnen und zu ihnen stehen wollen. Das hört sich in der Theorie leicht an, aber Selbstliebe muss wie ein Muskel trainiert werden.
Über das Schreiben können wir genau dieses Mindset praktizieren und kultivieren, indem wir den Fokus auf unsere Stärken und Ressourcen legen. Die mehr als 40 Schreibübungen und Rewriting-Prinzipien im Buch sind dabei genau darauf ausgelegt, sich schreibend so zu begegnen, wie man es sich von seiner Umgebung vielleicht immer gewünscht hätte: liebend, anerkennend und unterstützend. Und ja, das kann uns selbst Zeile um Zeile stärken, nähren und uns dabei unterstützen, uns kompromisslos anzunehmen. Man darf sich lieben, ohne seine eigenen Schwächen zu verabsolutieren und man darf sich lieben und sich dennoch weiterentwickeln wollen. Das kann sehr heilsam sein, denn mein Leitfaden, so es einen gibt, möchte den Rewriter in sein eigenes Herz führen. Den Wegweiser entwickelt er quasi selbst über die vielen Impulse, die er aus der angeleiteten Schreibpraxis gewinnt.
Was ist wichtiger für einen guten Text? Talent, Wissen über Grammatik oder Ehrlichkeit?
Das ist kontextabhängig. Wenn ich mich etwa auf eine Stelle bewerbe und überzeugen will, ist es sinnvoll, auf Grammatik, Stil und Orthographie zu achten. Sicherlich sind auch manche talentierter im Schreiben oder sprudeln über vor kreativen Ideen. Das ist alles schön und hilfreich, nur sehe ich Talent, Wissen über Grammatik und selbst das Schreiben als Werkzeug, sich selbst gegenüber ehrlicher und achtsamer zu werden. Daher würde ich zunächst nicht zu viel Energie auf das gute, richtige Schreiben verwenden, weil es uns nur aufhält.
Auch höre ich immer wieder den Einwand, nicht gut schreiben zu können, was mich aufhorchen und gleich intervenieren lässt. Möchte ich nämlich einen Text schreiben, der meine inneren Prozesse „gut“ widerspiegelt und einfängt, sollte ich mich von diesen Zweifeln nicht einschüchtern lassen. Denn beim Rewriting darf sich die Seele ausdrücken, entdecken und in ihrer Unverwechselbarkeit zu Wort kommen. Das führt aus meiner Erfahrung wie von selbst zu charismatischen, vitalen und spannenden Texten. Dennoch gilt zunächst: Will ich mich ergründen, lass ich mich von einem fehlenden Komma und einer schiefen Metapher sicher nicht aus der Schreibbahn werfen. Und wie bei so vielem geht es nicht allein ums Können, sondern auch ums Wollen.