Mein Eindruck ist, diese Überromantisierung der Liebe und das große Zelebrieren von Verlobung und Hochzeit sind ein Versuch, Sicherheit zu schaffen. Wenn die Hochzeit märchenhaft ist, dann gibt es auch bestimmt ein Happy End, scheinen viele Menschen zu hoffen. Dabei zeigen Untersuchungen genau das Gegenteil: Ehen, die mit einer extrem teuren und aufwändigen Hochzeit begannen, sind weniger stabil als die „günstigeren“.
Wissen Sie, der Stoff, aus dem die Liebe gemacht ist, das sind Affekte. Rein psychologisch gesehen sind Affekte per se flüchtig. Wie kann man auf Affekten eine Ehe aufbauen? Ich kann ja auch kein Haus auf Seifenschaum errichten. Diese etwas naive Haltung geht gegen jede Historizität, denn das Gefühlskonzept der Liebesehe ist blutjung. Bis zur Epoche der Romantik diente die Ehe der Erbfolge und der Versorgung. Es gibt Quellen, dass Ehepaare die Ehe zwar in Form des Beischlafs vollzogen haben, dieser galt sogar als Beweis für die Gültigkeit der Ehe, dass sie sich aber nicht geküsst haben. Man stelle sich das vor: eine Ehe ohne Küssen! Bedenken Sie, lieber Herr Hegmann, was allein das Küssen heutzutage für eine Bedeutung hat, wie viele Probleme es in Beziehungen gibt, weil die Freude an leidenschaftlichen Küssen mit der Zeit nachlässt. Das ist eine Sache, die von Beziehungen erwartet wird: heiße Küsse bis ins Rentenalter.
Für mich steckt das Beziehungsmodell mit der Formel „Wenn die Liebe und die Leidenschaft wirklich groß sind, bleiben sie für alle Ewigkeiten, und man kann mit jedem Recht der Welt auf eine stabile Ehe vertrauen, sonst ist die Liebe beziehungsweise die Leidenschaft eben nicht richtig, und neue Liebe und neue Leidenschaft müssen her“, entweder noch in den Kinderschuhen und wird sich mit der Zeit bewähren – was ich stark bezweifle. Oder das Modell taugt gar nicht.