Unsere Mercedes-Mentalität vergiftet die Liebe

Das Zeitalter der unüberschaubaren Möglichkeiten

Der amerikanische Psychologe Barry Schwartz hat das mal in einem TED-Talk schön ausgedrückt: Als er jung war, gab es – überspitzt gesagt – nur eine Jeansmarke. Die Jeans saß dann vielleicht nicht immer perfekt und sah vor allem immer gleich aus. Und doch hat es ihn Jahre später nicht glücklicher gemacht, als es in den Stores plötzlich hunderte verschiedene Modelle und Arten zu kaufen gab: acid washed, aged, anti fit, antik-denim, authentic, baggy, bartack, bell bottom, belt loop, black denim, bleached, blue denim, bomber washed, boot cut und so weiter, und so fort. Er sehnte sich nach dem Zeitalter der überschaubaren Möglichkeiten zurück.

Damit will ich nicht sagen, dass wir uns mit Schlechtem oder Mittelmaß zufriedengeben sollten. Ganz und gar nicht. Hätten unsere Vorfahren das getan, würden wir wohl immer noch auf Bäumen rumklettern. Schwartz will etwas anderes deutlich machen. Viel, viel, viel Auswahl zu haben und gleichzeitig nur das Beste zu wollen, kostet uns eine Menge! Wir müssen vergleichen, testen, bewerten. Das ist megaanstrengend. Und wir sind frustriert, wenn wir mal „suboptimal“ wählen (was nicht zuletzt angesichts der riesigen Auswahl unvermeidlich ist). Schnell quält uns das Gefühl von Reue. Hätte ich früher doch nur… Dann würde ich jetzt… Für dieses Phänomen haben sich Wirtschaftswissenschaftler sogar einen Begriff ausgedacht, schön sperrig, aber treffend: Opportunitätskosten.

Die Angst vor der Imperfektion

In meinem Freundeskreis und bei mir selbst entdecke ich immer wieder folgendes Phänomen: Wir haben Angst vor der eigenen Imperfektion (Nicht-perfekt-sein) und sehnen uns gleichzeitig danach, sie endlich einmal zeigen zu dürfen. Diese Zerrissenheit wird derzeit auch in der Werbekampagne einer bekannten Modekette aufgegriffen. Stichwort „ImPerfect“.

Heißt es nicht immer: Ich möchte einen Partner, der mich so akzeptiert, wie ich bin, der alles an mir annimmt, meine hellen und meine dunklen Seiten? Ein Partner auf Augenhöhe, der nicht perfekt ist, genauso wie ich selbst. Ein Partner, an dessen Seite ich wachsen kann und er mit mir. Ein Partner, dessen Liebe mir hilft, mich langsam immer mehr mit mir selber auszusöhnen und die Schönheit meines Menschenlebens zu genießen. Klingt gut. Nur irgendwie haben wir Angst vor den dunklen Seiten, vor der eigenen und fremden Imperfektion.

Ja, gibt es eine gute Beziehung denn wirklich nur bei Mr. & Mrs. Perfect?!

Vor kurzem wurden wir von dem Journalisten Oliver Jeges als Generation Maybe charakterisiert. Maybes sind Zauderer, Aufschieber und Hosenscheißer, die nur äußerst ungern Verantwortung übernehmen oder große Entscheidungen fällen. Da mag was dran sein. Vielleicht sind wir ja auch gerade deswegen so unentschlossen-mutlos, weil wir uns chronisch mit unseren eigenen überzogenen Ansprüchen an uns selbst, unseren Partner, die Umwelt und das Leben überfordern. Möglicherweise, weil wir eben eine tiefe Angst vor unseren eigenen Schattenseiten und Schwachstellen haben, die wir uns so ungern eingestehen, geschweige denn zeigen.


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