Unsere Mercedes-Mentalität vergiftet die Liebe

Wir sind im Optimierungswahn gefangen

Sich selbst zu finden und zu verwirklichen war noch vor kurzem der Anspruch und Luxus einer Generation, die genügend Zeit neben dem Arbeits- und Familienleben fand, das eigene Ich in den Blick zu nehmen und sich auch für Dinge wie Persönlichkeitsentwicklung, Selbstfindung oder Spiritualität zu begeistern.

Heute, so scheint es mir, treiben wir diese Entwicklung auf die Spitze und drohen dabei den eigentlichen Sinn aus den Augen zu verlieren. Wir sind nicht mehr Selbstverwirklicher (was gut ist), sondern Selbstoptimierer. Wir wollen uns nicht einfach nur selbst entdecken und erkennen, sondern immer weiter verbessern und perfekt machen. Als seien wir und unsere Mitmenschen ein Produkt, das geupdatet werden kann und muss. Ein Produkt, das so, wie es gerade ist, defizitär ist.

Wir pimpen unsere Xing-Profile

In der Multioptionsgesellschaft mit ihren unbegrenzten Möglichkeiten ist Selbstverwirklichung äußerlich so leicht wie nie zuvor. Aber in uns gärt ein (Selbst-)Optimierungswahn, der uns längst nicht mehr guttut. Wir pimpen unsere Xing-Profile, twittern, dass unser Kind eine Eins in Mathe geschrieben hat und geben auf Facebook mit unserem neuen Partner an. Seht her, was ich alles erreicht habe! Seht her, wie gut es mir geht!

An all dem ist im Prinzip nichts verkehrt. Es ist toll, wenn es uns gut geht. So soll es sein. Was bei vielen jungen Menschen die täglichen Freuden und Erfolge schmälert, ist aber eben gerade jener Stachel im Fleisch, der uns schmerzhaft signalisiert: „Gut gemacht, bravo! Aber jetzt geht’s weiter, das war noch nicht alles, du schaffst noch mehr, viel mehr!“ Momentanes Glück und Erfolge werden zu Etappenzielen degradiert.

Genug reicht uns nicht mehr

Überall hört man heutzutage das Stoßgebet „Ich will doch einfach nur glücklich sein!“ Ja, aber mal nachgefragt, warum sind wir dann – im Großen und Ganzen – nicht glücklich, oder meinen zumindest, dass wir noch viel glücklicher sein könnten? „Ich will doch einfach nur glücklich sein“: In diesem Satz klingt eine Sehnsucht nach Einfachheit und Leichtigkeit an. Und zugleich schwingen da reichlich Frust und Reue mit. „Hätte ich damals doch bloß…”

Eine Antwort auf die Frage, warum wir nicht „restlos glücklich“ sind, fällt nicht leicht. Auch die Wissenschaft hat inzwischen erkannt, dass der Wohlstand in der westlichen Welt in den vergangenen Jahrzehnten zwar kontinuierlich gestiegen ist, die Lebenszufriedenheit aber stagniert oder – so einige Studien – sogar abnimmt. Und das, obwohl wir immer mehr haben: Besitz, Wissen, Wahlmöglichkeiten.


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