Wir leben im Zeitalter des Egoismus und der Selbstdarstellung. Das ist für langfristige, glückliche Beziehungen nicht gerade förderlich, findet André Martens
Alles dreht sich heutzutage um uns. Falsch! Um MICH. Schaut man sich mal um – und wendet den Blick vom Spiegel ab –, so blickt man auf hunderte, tausende von parallel dahinschwebende Galaxien mit jeweils einem einzigen, alles überstrahlenden Fixstern in der Mitte, im Zentrum. Natürlich leuchtet jeder dieser Sterne am hellsten. Selbstverständlich tut er das! Das Problem an all dem ist nur: Vielleicht ist dieses helle Leuchten auch einfach nur unsere persönliche Einbildung. Und vielleicht erschwert oder verhindert diese Einbildung, dass zwei Sterne zusammen strahlen können, miteinander, füreinander. (Reicht ein einfaches Leuchten nicht bereits aus?)
Ich bin der Hauptdarsteller, ihr die Statisten
Das ist ja ein reichlich pessimistischer Einstieg, finden Sie nicht? Leider lässt sich dieser Eindruck nur schwer zerstreuen. Überall steigen Ego-Emissionen auf. Selfie hier, Selfie da, und noch eins und noch eins. Und noch einen Filter drauf. Schaut her, wie schön ich aussehe, wie gut es mir geht, was ich alles Geiles erlebe, wie viel Spaß mir mein Leben macht. Unendlichen Spaß! Das Leben ist eine Bühne und ich bin der Hauptdarsteller. Ihr seid die Statisten und das Publikum. Ihr solltet mir applaudieren … Heutzutage verwundert es kaum noch, wenn einer dieser Hauptdarsteller auf der Bühne, mitten in der „Show“, sein Smartphone zückt, um mit dem „Publikum“ im Hintergrund ein Selfie zu machen. Man spielt für sich, nicht gemeinsam oder gar für die Anderen.
Nicht alle von uns sind so, ein Glück. Aber doch viele. Übertrieben nach Aufmerksamkeit – und Bestätigung? – heischend, ein perfektes Produkt des eigenen Selbstdarstellungswillens, koste es, was es wolle. Das Wörtchen „ich“ wird jetzt großgeschrieben. Ich will das-und-das, das steht mir zu. Ich habe Ansprüche. Ich lebe nur einmal. #YOLO. Ich will das perfekte Leben. Das ist gerade gut genug für mich. Das habe ich verdient, weil ich ICH bin. Drunter mach ich’s nicht, merkt euch das!
Das wird nicht gutgehen.
Die Ego-Gesellschaft
Manchmal liest man von der Ego-Gesellschaft. Das ist eine Gesellschaft, die den Spagat nicht mehr schafft, sich selbst individuell zu verwirklichen und trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen) auch sozial zusammenzuhalten und sich gegenseitig zu unterstützen, etwa auf der Mikroebene in stabilen, intakten Partnerschaften. Die Frage ist: Warum ist das alles so gekommen? Warum brauchen wir YOLO-Ego(zentr)ismus und Selbstdarstellung? Welches Bedürfnis befriedigen wir dadurch? Ist dieses Bedürfnis unser eigenes oder haben wir es von außen übernommen?