Die gestiftete Ehe ist in unserem Kulturkreis verpönt. Christiane Lénard wundert sich über das TV-Format„Hochzeit auf den ersten Blick“und übt leise Kritik daran
Die lange im Voraus und groß angekündigte TV-Show „Hochzeit auf den ersten Blick“ durfte das erste Mal über deutsche Fernsehschirme flimmern. Da saß ich nun also Sonntag am frühen Abend vor der Glotze. Der Ehemann hatte sich und unseren Anderthalbjährigen wohlweislich und fürsorglich in sichere Hör- und Sichtentfernung gebracht. In dieser kleinkindfreien Zone gönnte ich mir zur Steigerung des medialen Genusses noch eine Tüte Chips.
Kurz zusammengefasst, worum es geht: Acht (in einem mehrstufigen Auswahlverfahren ausgewählte und „psychisch gesunde und emotional stabile“, so die Beteuerung des Senders) Singles lassen sich von vier so genannten Experten nach verschiedenen Kriterien einen Partner auswählen, den sie dann ungesehen heiraten. Die Bindungswilligen sehen sich also das erste Mal auf dem Standesamt und dann gibt es kein Zurück mehr. Erst danach lernen sie sich kennen. Alles natürlich begleitet vom TV. Nach ein paar gemeinsam verbrachten Wochen, so der Plan der TV-Firma, sollen sie dann entscheiden, ob sie mit dem für sie ausgesuchten Partner zusammenbleiben wollen oder nicht. Soweit so gut.
Radikale Neuerfindung der Ehe?
Wissenschaftlich fundierte Partnersuche und Matching ist nicht neu und revolutionär. Was aber außergewöhnlich, experimentell und fragwürdig an dem Konzept der Sendung ist? Dass sich offenbar über die möglichen psychischen und sozialen Folgen für die „paarungswilligen“ Versuchspersonen keiner so richtig Gedanken gemacht hat. Obwohl es nicht um die große Liebe auf den ersten Blick und das Verliebtsein gehen soll, würde man Liebe lernen können – so die berufenen Experten. Arrangierte Ehen würden ja durchaus auch mit Erfolg in Teilen der Erde und früheren Zeiten praktiziert und müssen nicht unglücklich enden.
Rückschritt oder Fortschritt?
Das ist sehr richtig. Nur wird dabei vergessen, dass es in Zeiten und Gesellschaften der arrangierten Ehe eben wirklich nicht primär ums Verlieben, Liebe und emotionale Nähe ging, sondern vielmehr aus wirtschaftlichen oder Standes-Interessen geheiratet wurde. Wenn also in traditionalen Gesellschaften heute noch die Eltern ihre Söhne und Töchter schon im Kleinkindalter einander versprechen und diese dann später, vielleicht auch ungesehen, vor den Traualtar treten, so sind Braut und Bräutigam schon in dem Wissen aufgewachsen, dass dies ihre Bestimmung ist. Es steht gar nicht zur Debatte, dass sie sich ihren Partner selbst auswählen, geschweige denn sich verlieben müssen, um ihn oder sie zu ehelichen.
Anders ist es bei uns. Uns geht es, und da können wir nicht aus unserer Haut, was man auch sehr schön an den Vorstellungen und Äußerungen der Kandidaten sehen kann, um die romantische Liebe. Uns geht es vor allem darum, uns unseren Lebenspartner danach auszusuchen, wie sehr wir uns mit ihm emotional verbunden fühlen. Natürlich spielen auch rationale Erwägungen eine Rolle. Aber eines ist bei allem wichtig: Wir entscheiden uns selbst aus allen genannten Gründen für den oder einen anderen Partner und Lebensweg. Aus diesem starken Wunsch nach Wahlfreiheit kommen wir nicht heraus. Er ist uns quasi mit in die Wiege gelegt. Das schließt nicht aus, dass wir uns gern beraten lassen bei der Partnersuche, sei es von der besten Freundin oder eben von Wissenschaftlern, die wissen, was Paare zusammenhält und wer zu wem passt. Dennoch können die Partnervorschläge, die auf Basis eines wissenschaftlichen Matchings dem partnersuchenden Single offeriert werden, nur die Auswahlgrundlage sein. Ein Vorschlag, wer passen könnte und die Empfehlung, sich diesen Kandidaten näher anzuschauen.
Wissenschaft oder Trash? Kritik an Hochzeit auf den ersten Blick
Schauen wir uns nun das TV-Spektakel noch einmal genauer an und üben an „Hochzeit auf den ersten Blick“ ein Bisschen Kritik. Als die Experten in Sachen Matching werden zwei Psychologinnen, ein Heilpraktiker, der in Sachen Wohnraum psychologisiert, und ein freikirchlicher Pastor berufen. Welche Funktion letzterer hat, erschloss sich mir noch nicht in Gänze. Meine erste Vermutung, er würde die beiden Kandidaten trauen, wurde nicht bestätigt. Ich nehme demnach an, er soll die christlich-moralische Komponente vertreten. Diese spielte in der ersten Sendung jedoch so gut wie gar keine Rolle. An die Wohnraum- und Persönlichkeitsanalyse aufgrund der Farbvorlieben mag man glauben oder nicht und was die psychologische Persönlichkeitsanalyse und das darauf basierende Matching angeht, lässt sich nur spekulieren. Man erfährt, dass es um Übereinstimmung in Punkten wie Treue, Sexualität, Dominanz, Bindungsfähigkeit und Empathie geht. Und, dass hoffentlich im Sinne der Kandidaten, noch weitere, vor allem beziehungsrelevante Persönlichkeitseigenschaften, eine Rolle spielen.
Selbst projektive Testitems aus der Psychoanalyse kommen zum Einsatz und eine DNA-Analyse wird herangezogen, um die Immunsysteme zu untersuchen und festzustellen, ob sich die Kandidaten riechen können. Zusammengenommen alles durchaus relevant bei der Partnersuche. Die Entwickler der Show haben ordentlich recherchiert, was im Bereich Partnersuche und Matching möglich ist und Anwendung findet. Die uns gestern präsentierten Kandidaten Bea und Tim sind im typischen Partnersuchalter für ernsthafte Beziehungen und wirken recht sympathisch in Szene gesetzt – anders als in Formaten wie „Bauer sucht Frau“ oder „Schwiegertochter gesucht“. Also alles nicht so schlimm und schon gar nicht Verhohnepipelung der Institution der Ehe, wie aus CDU- und Kirchenkreisen zu hören ist?
Erwartung + Leidensdruck + Erfolgshoffnung = Liebe?
Natürlich kann man sich zurücklehnen und sagen, die Kandidaten hätten gewusst, worauf sie sich einlassen. Ja, natürlich. Aber wie uns eindrücklich geschildert wurde, lasten auf den Schultern der beiden Brautleute schon jetzt große Erwartungen und ein gewisser Leidensdruck, endlich nicht mehr allein durchs Leben gehen zu müssen. Man bekommt fast den Eindruck, dass es in der Hauptsache darum geht, zu heiraten, egal wen, schließlich ist es „ihr Tag“, so Kandidatin Bea, es geht um „ihr Glück“ und sie „möchte einmal Prinzessin“ sein. Zudem wird der Erfolgsdruck durch die Aussage von Beas Mutter nicht eben kleiner, da „es bei ihr ja schon fünf vor zwölf“ ist. Fröhliche Entspannung kann ich da nur wünschen. Vielleicht in den Flitterwochen, begleitet von vielen Kameras auf Island? Das lässt sich sicher einrichten. Aber wer ist auf die Idee mit Island gekommen? Offenbar niemand, der schon einmal dort gewesen ist. Denn die beeindruckende, jedoch baumfreie, wüstenähnliche Vulkanlandschaft im Dauerregen bei 9 Grad zu bereisen, kann selbst rheinische Frohnaturen auf düstere Gedanken bringen. Nicht umsonst macht Björk die Musik, die sie macht.
Warten aufs Happy-End
Wie wird die Geschichte der beiden nun also ausgehen? Angeblich sind zwei der drei Paare, die man bei der im US-amerikanischen TV ausgestrahlten Version verkuppelt hat, noch zusammen. Welche Erfolgsquote die dänische Originalausgabe hatte, ist uns nicht bekannt. Ob ich allerdings weitere Sonntagvorabende opfere, um den Weg der beiden zu verfolgen, weiß ich noch nicht. Alles was mir an diesem TV-Abend stimmig erschien, war die geleerte Chipstüte auf meinem Schoß und die Abwesenheit meiner Liebsten zu ihrem eigenen Schutze.