Solange ich mich nicht selbst verleugne

Was für  Oma noch ein Kompromiss war, birgt heute bereits die Gefahr, sich zu verbiegen. Schnell wird von Liebesbeweisen gesprochen und immer öfter wird bei manchen Paaren eine Geschäftemacherei nach dem Motto – ich habe was für dich getan, jetzt mach auch mal was für mich – daraus. Ich verstehe unter Beziehung etwas anderes.

Selbstverständlich habe auch ich absolute No-Gos. Das sind aber existenzielle Grundfragen über Werte und Charakter. Da glaube ich aber, dass Menschen, die diese nicht teilen, gar nicht erst zusammenkommen. Alles andere ist verhandelbar und kompromissfähig. Die Bereitschaft dazu hat auch was mit Wertschätzung zu tun.

Solange ich mich nicht selbst verleugne, bin ich nicht emotional abhängig und verbiege mich auch nicht. Ich definiere mich deswegen auch nicht über meinen Partner. Selbst wenn es nur ein Zwischending aus Interesse und Kompromiss ist. Ich erweitere dadurch meinen Horizont, bin bereit, neue Aspekte kennen zu lernen und zeige, dass ich mich für den anderen interessiere. Und das tue ich nicht, weil ich muss, sondern weil ich das will. Mir geht es gut damit und meiner Liebsten hoffentlich auch.

Ich finde es schön, wenn man sich mit der Zeit ähnlicher wird und Übereinstimmungen kontinuierlich zunehmen. Ich glaube nicht, dass schleichende Anpassung die Liebe auffrisst, sondern dass sie die Liebe vertieft. Es ist doch schön, jemanden zu haben, dessen Interessen man in- und auswendig kennt, dessen Stärken und Schwächen man einschätzen kann und von dem man weiß, was man von ihm erwarten kann und was nicht.

Mir treibt es die Tränen in die Augen, wenn ich im Park alte Menschen zusammen auf der Parkbank sitzen sehe, die gemeinsam die Tauben füttern und sich dabei an den Händen halten. Wenn man sie nach gebrachten Opfern fragt, schütteln sie meist verständnislos den Kopf. Die Antwort lautet eher, dass es nicht immer einfach war, sie es aber jederzeit noch mal machen würden.

Das gibt mir Hoffnung, so hätte ich es auch gerne irgendwann mal.