Nach dem Tod der großen Liebe: Wie viel Trauer ist normal?

Seine Partnerin starb unerwartet nach 24 gemeinsamen Jahren. Seit Jahren nun trauert er – wird er jemals wirklich abschließen können? Eine Liebesgeschichte, die das Herz rührt, aufgeschrieben von beziehungsweise-Autorin Birgit Ehrenberg

Tiefe Trauer passt nicht in unsere Zeit

Michael sagt: „Ich bin da, ich existiere! Ich verlasse das Haus, ich fahre weg, ich lese, ich sehe Filme, ich koche mir sogar etwas. Ich bin nicht depressiv. Ich kann und will zwar nicht arbeiten, doch das ist kein Zeichen für eine Depression. Sigmund Freud hat mal behauptet, dass der, der seelisch krank ist, nicht arbeiten oder nicht lieben kann oder gar beides nicht. Freud mag überholt sein, doch kann seine Aussage auch heute noch Pi mal Daumen gelten.

Wie gesagt, ich will nicht arbeiten. Ich kann es mir finanziell leisten, alles im normalen Bereich. Ich bin nicht arbeitsunfähig, weil sich meine Trauer in eine schwere Depression verwandelt hat. Ich möchte mich gerade nicht ständig mit den Nöten anderer Menschen befassen. Vielleicht tue ich das auch nie wieder, ich weiß es nicht. Ich möchte mich mit mir befassen. Mit meiner Trauer. Mit meiner Liebe. Große Trauer ist doch einfach die Kehrseite großer Liebe. Das passt vielleicht nicht in unsere schnelllebige Zeit, doch das ist mir egal.“

Gehört Michael auf die Couch eines Kollegen?

Michael hilft es, sich seiner Trauer widerstandslos hinzugeben. Seine Rituale geben ihm die Möglichkeit, sich Hanna nahe zu fühlen, so nahe, wie er ihr war – und das hilft ihm, den Schmerz zu fühlen und damit zu überwinden. In seiner Praxis hat er das schon anderen Trauernden empfohlen: Nicht den Schmerz vermeiden, sondern hingehen, wo der Schmerz sitzt. Und hinsehen. Nicht weglaufen. Die Erwartung: Der Raum, den das Gedenken an die verstorbene Person einnimmt, möge mit der Zeit kleiner werden und das wahre Leben Einkehr halten. Das ist jedenfalls die Theorie, die psychologische.

Es gibt auch eine zeitliche Zäsur, wie lang dieses intensive Gedenken und Versinken in die Vergangenheit dauern „darf“. Experten sagen: Wer nach 14 Monaten immer noch stark in seinem Alltag eingeschränkt ist, gilt als pathologischer Fall. Michael hat mit seinen drei Jahren Trauer die Halbwertzeit deutlich überschritten. Gehört Michael auf die Couch eines Kollegen? Er schüttelt energisch den Kopf, er kann die Frage nicht mehr hören.


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