Was passiert mit der Liebe, wenn der Partner zum Pflegefall wird, fragt Philosophin Birgit Ehrenberg in ihrem neuen Buch. Im Gespräch mit beziehungsweise Chefredakteur Eric Hegmann beschreibt sie die Herausforderungen, denen sich irgendwann alle Paare stellen müssen, wenn sie einander bis zum Ende beistehen
Liebe Frau Ehrenberg, wir kennen uns, ich muss nicht distanziert tun: Beim Lesen Ihres Buches „Was passiert mit der Liebe, wenn der Partner zum Pflegefall wird?“ habe ich zwei Packungen Taschentücher verbraucht. War es das, was Sie mit dem Buch erreichen wollten?
Birgit Ehrenberg: Ich freue mich und nehme Ihre Aufgewühltheit als großes Kompliment. Es war meine Absicht, dass die Lektüre meines Buchs unter die Haut geht. Ich wollte auf dieses existenzielle Thema aufmerksam machen, wie Liebe sich unter den Bedingungen der Pflegebedürftigkeit verändert, ein Thema, das uns alle angeht, denn es gibt etwa sechs Millionen Menschen in unserem Land, die Pflege brauchen. Das sind nur die, die offiziell als pflegebedürftig gelten, weil sie es im Sinne der Pflegeversicherung sind und Leistungen beziehen. Die Dunkelziffer der Pflegebedürftigen ist ungleich höher. Viele beanspruchen die Angebote der Pflegeversicherung nicht, weil sie es nicht wollen oder nicht können, weil sie mit den Anträgen nicht zurechtkommen. Und es werden täglich mehr, die Pflege brauchen, keineswegs nur alte Menschen.
In meinem Buch kommen auch Paare vor, die es „erwischt“ hat, als beide noch 40 waren. Aber dass wir alle immer älter werden und damit unsere Beziehungen, das ist natürlich besonders relevant. Liebe und Pflege, das wird in Zukunft die elementare Herausforderung für uns alle sein, viel mehr als Probleme, die uns bis jetzt massiv beschäftigt haben, wie zum Beispiel Untreue. Die Frage „Wie geht es weiter nach dem Seitensprung?“ wird in den Hintergrund treten, stattdessen wird es heißen „Liebst Du mich noch, wenn ich im Rollstuhl sitze“ oder „Liebst Du mich noch, wenn Du mir die Windeln wechseln musst?“. Und da Themen in der Regel erst dann in den gesellschaftlichen Fokus geraten, wenn sie unter die Haut gehen, wenn sie das Herz erreichen, wie es bei Ihnen der Fall ist. Deshalb habe ich mein Ziel erreicht, wenn Tränen fließen und Taschentücher zum Einsatz kommen.
Sie erzählen die Geschichten unterschiedlicher Paare, deren Liebe durch Krankheit und Schicksalsschläge auf die Probe gestellt wird. Kann sich wahre Liebe nur in Krisen beweisen?
„Wahre Liebe, die sich nur in Krisen beweist“ – das ist mir zu hoch gegriffen und auch zu romantisch im Sinne von verquast. Ihnen sagt dieses Hollywood-Liebeskonzept doch auch nicht zu. Wahre Liebe geht auch ohne Krise. Liebe ist für mich eine dauerhafte Bewährung im Alltag, jeden Tag aufs Neue, mit Mut und guter Laune und einer gewissen Leichtigkeit – und Hand in Hand gehend mit Gewissenhaftigkeit. Es ist Liebespraxis, in der sich Liebe täglich zeigt und beweist, eine Übung. Da braucht es keine Krisen mehr, um die Liebe ins Licht zu holen. Falls eine Krise kommt, eine schwere, wie es die Pflegebedürftigkeit des Partners sein kann, ist man allerdings durchs Üben auf die Bewältigung der Krise optimal vorbereitet. Denn durch das unermüdliche „Training“ ist oder wird man ein Liebeskönner oder eine Liebeskönnerin. „Liebeskönnerschaft“ – so nenne ich die Fähigkeit wahrhaft zu lieben. Mit hausgemachten Krisen wie dramatischen Eifersuchtsattacken, die dann nach einem Riesenstreit in einer leidenschaftlich-romantischen Versöhnung enden, hat das nichts zu tun. Nein, der Liebeskönner oder die Liebeskönnerin ist ein emsiger wie ruhiger Gärtner oder eine Gärtnerin im Garten der Liebe.