Lieben, aber bloß nicht zu laut!

Lieber schleichen wir wochenlang auf Samtpfoten durch unser Liebesleben, statt uns ehrlich unsere Gefühle zu gestehen. Dabei darf man alles sagen, wenn es denn ehrlich ist

„Ich hab dich auch sehr gern“, sagt er und küsst mich noch bevor er geht. Und selbst diese völlig unpassende Antwort auf mein „Ich liebe dich“ verzeihe ich ihm. Wochenlang hab ich die berüchtigten drei Worte zurückgehalten, weil ich wusste, dass er es nicht sagen wird, weil ich ihn nicht überfordern, nicht „zu viel“ sein wollte.

Weil aus Vielleicht eben doch Ja werden kann

Bei uns hat immer alles etwas länger gedauert: Ich war schnell sicher, dass ich mit ihm zusammen sein will. Er setzte sein Kreuz beim alten Ja-Nein-Vielleicht-Spiel bei der unverbindlichsten Antwort. Erst Monate später war er bereit, das völlig Offensichtliche auch wirklich als Beziehung zu bezeichnen. Ich war geduldig und es hat sich gelohnt.

Das Problem: Zu diesem Zeitpunkt bin ich schon wieder viel „weiter“ als er. In jedem noch so perfekt unperfekten Moment beiße ich mir auf die Zunge und sage nicht, was ich eigentlich vom nächsten Hochhaus schreien möchte. Es ist immer die gleiche Szenerie. Ich setze an und vergrabe mich dann doch lieber wieder unter der Decke, damit er nicht sehen kann, was meine Augen verraten. Geht er rauchen, male ich ein Herz an die beschlagene Fensterscheibe, ganz so als wäre ich 16 und nicht 26.

Von Feiglingen und Wohnungsschlüsseln

Sobald er nach einem gemeinsamen Wochenende geht, möchte ich mir für meine Feigheit am liebsten in den Allerwertesten beißen. Wovor ich Angst habe, frage ich mich. Ich hab nie ein Problem damit gehabt es zu sagen und war mir auch fast immer sicher, die „richtige“ Antwort zu bekommen. Außer beim letzten Mal. Da bekam ich die Zurückweisung ausformuliert auf drei Seiten Briefpapier. Es steckt einem in den Knochen – und im Herz.

Aber wie viel von dieser Angst ist wirklich berechtigt? Wieso kann ich jemandem der mir das richtige Gefühl gibt, Sicherheit und Vertrauen, jemandem der einen Schlüssel zu meiner Wohnung hat und halb selbst darin wohnt, nicht auch sagen, was ich fühle? Die Diskrepanz zwischen seinem, zwischen unserem Verhalten und unseren Worten sind ganze Fußballfelder groß. Wieso fürchte ich mich, wenn ich nichts zu befürchten habe?

Eine halbe Flasche billigen Wein später habe ich genug Mut, ihn selbst zu fragen, warum er so und nicht anders geantwortet hat. Als er merkt, wie traurig ich deshalb bin, steht er im Nullkommanix vor meiner Tür. Obwohl er wusste, was ich sagen will, war er einfach Baff, sagt er, und fügt hinzu: „Natürlich hab ich Gefühle für dich, aber ich hab einfach schlechte Erfahrungen gemacht.“ Es steckt ihm in den Knochen – und im Herz.

Sag es, wenn du es wirklich fühlst!

Liebe ist nicht zurückhaltend und ich bereue keinen Moment lang, es ihm gesagt zu haben. Ich halte mich nicht an den drei Worten auf, weil er mir längst zeigt, was er für mich fühlt. Ob oder wann er es in Worten ausdrücken kann, darauf kommt es mir nicht an. Ganz ehrlich, ich habe keine Angst davor jemanden zu lieben, der nicht auf Knopfdruck genauso formulieren kann, was er fühlt. Vielmehr sollten wir alle vor denen Angst haben, die „Ich liebe dich“ sagen und „Ich hab dich ganz gern“ meinen.


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