Ich bin dann mal weg: Über die Angst vor (emotionaler) Nähe

Wenn trotz aller Verliebtheit die Fliehkräfte siegen: Über den schmalen Grat zwischen der Angst vor Nähe, vor allem in Beziehungen, und einem niedrigen Nähebedürfnis

Warum ist das eigentlich so schwer – das Miteinander von Frau und Mann? Da finden sich zwei, die Anziehung ist da, ja, man wacht morgens schon lange vor dem Wecker auf, um hastig aufs Display zu luschern, nachzusehen, ob – endlich – wieder eine Nachricht von ihr eingetrudelt ist. Man trifft sich, obwohl man eigentlich keine Zeit hat, knutscht mit ihm rum, knutscht immer weiter, ungeniert, läuft verliebt durch die Straßen, weiß auf die Frage „In welche Bar möchtest du noch?“ so recht keine Antwort, weil alle Antworten richtig wären und es vollkommen gleich ist, weil der Moment zählt und er uns innerlich zum Schmelzen bringt und zum Kochen, beides, weil alles, wirklich alles in uns danach schreit: „Ja, ich will dich, bei mir, komm her, schmieg dich an mich, lass nicht mehr los, lass die Zeit nicht mehr vergehen, und wenn sie doch vergehen muss, dann lass uns sie zusammen vergehen lassen, während du mich hältst.“

Alle Ängste, auch vor Nähe, sind für kurze Zeit wie verflogen

Irgendwie so ist das dann. Bei jedem ein klein wenig anders. Bei jedem gut. Bei jedem das, was unser Leben einzigartig macht und alle Zweifel, Sorgen und Ängste eine überschwängliche Zeit lang vertreibt. Und dann vergehen die Tage, die Wochen. Langsam merkt man wieder, dass es Herbst wird oder Frühling, dass die Wäsche zusammengelegt werden müsste und die Rechnungen, die sich angesammelt haben, endlich einmal bezahlt werden sollten. Ein wohliges Gefühl macht sich breit, weil alles seinen Gang geht, aus dem Überschwang langsam vertraute Zweisamkeit wird, weil sich alles wie mit traumwandlerischer Gewissheit in die richtige Richtung bewegt. Man weiß, dass alles passt, möchte dem anderen zurufen: Zersäge den Baum / nimm Steine / und bau mir ein Haus. / Ein kleines Haus / mit einer weißen Wand / für die Abendsonne (Hilde Domin). Alles fühlt sich leicht an. Alles ist schon gut.

Nadelstiche unter der Kopfhaut

Und dann sind da ab und an diese Nadelstiche, Stiche von innen nach außen, unter der Kopfhaut, leiser Schmerz, zu zart, um entdeckt und benannt zu werden, fortgespült von, immer noch, in Intervallen überschäumender Lust und Gier nach dem anderen. Die Nadelstiche sind schnell wieder vergessen.


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