Mit Paul habe ich mir immer etwas zu sagen, ich hänge echt an seinen Lippen, er kann außerdem sehr gut zuhören. Paul möchte unbedingt Kinder mit mir. Er sagte, er könne sich sehr gut vorstellen, dass er zu Hause bleibt. Ich liebe meine Arbeit, ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Paul sich um die Familie kümmert und ich jeden Tag in die Kanzlei gehe. Und trotzdem habe ich ihm gegenüber manchmal richtige Aggressionen. Wo ist mein Problem? Im Kopf? Wenn wir Besuch haben von anderen Paaren, wenn die Frauen angeben mit den Gehältern ihrer Kerle, wenn sie Paul fragen, was er macht, was seine nächste Karrierestufe ist, wenn Paul daraufhin lächelt und sagt: „Ich schreibe“, bleibt mir manchmal die Luft weg vor Wut über seine Lässigkeit.
Paul lässt sich von solchen Fragen weder beeindrucken noch einschüchtern, er ist souverän. Ich glaube an ihn, vielleicht schreibt er eines Tages einen Besteller. Er schreibt auch für Zeitungen, er hat also durchaus ein Einkommen, aber eben, und das ist die Krux, keines, das irgendwie vergleichbar wäre mit dem der anderen Menschen aus unserem Umfeld, all die Manager und Anwälte und Ärzte.“
„Ich konnte mich meinen guten Gefühlen nicht mehr hingeben“
Immer öfter kommt es zwischen Lisa und Paul zu Streit. Kommt sie am Abend nach Hause und er sitzt im Arbeitszimmer und schreibt und ist versunken in sein Tun, so dass er ihr Kommen gar nicht bemerkt, starrt sie angewidert auf seinen Rücken, sie müsste eigentlich gerührt sein, weil sie diesen Rücken so liebt, weil sie es auch liebt, wie Paul aussieht beim Schreiben, fast kindlich, weil ihm seine Arbeit solche Freude macht. In diesen Momenten platzt die Bombe, bricht sich das in Lisa Aufgestaute Bahn. Sie wird gemein. Ihre Liebe verbleibt in einem „Wenn“, wie sie es immer wieder erlebt hat. Es fehlt etwas: Paul wäre der Richtige, wenn er beruflich megaerfolgreich wäre.
„Ich konnte mich meinen guten Gefühlen nicht mehr hingeben, ich war blockiert“, erzählt Lisa, „anstatt zu Paul zu gehen, ihn von hinten zärtlich zu umarmen, mich von ihm rühren und berühren zu lassen, trat ich wie ein Feldwebel auf und sagte harsch, ich bin erschöpft, was hast Du eigentlich den ganzen Tag gemacht, herumgesessen? Was gibt es zu essen? Paul ist zusammengezuckt wie ein geprügelter Hund. Ich hasste mich selbst in solchen Momenten.“
Lisa weiß, dass sie die Notbremse ziehen muss. Paul ist ein sensibler und gleichermaßen ein stolzer Mann. Er wird sich solche Demütigungen nicht lange gefallen lassen. Er wird gehen. Und Lisa will, dass er bleibt. „Aber trotzdem bekam ich diese Bilder nicht weg, diese blöden Klischees, dass ein Mann eine Frau versorgen können muss, dass er finanziell potent sein muss, dass sein Platz in der Welt ist, an der Spitze – und der Platz der Frau zu Hause, in den ersten Jahren jedenfalls, wo die Kinder klein sind. Solche spießigen Bilder habe ich, ich, die ich von mir sagen würde, dass ich durch und durch emanzipiert bin.“ Lisa atmet tief durch.