Sie hoffen, Sie sehnen, Sie wünschen – und Sie werden enttäuscht werden. Über Erwartungen, die sich nicht erfüllen und den Umgang mit Verletzungen
Ich habe eine schlechte Nachricht über die Liebe für Sie. Die Menschen, denen Sie Ihr Herz schenken und diejenigen, die Ihnen ihr Herz schenken, werden Sie irgendwann einmal enttäuschen.
Das ist eine harte Aussage, ich weiß. Sie bestätigt alle, die einmal verletzt wurden in der Liebe, in ihrer Angst, erneut verletzt zu werden. Sie wird Menschen bestärken, Distanz zu wahren und Nähe erst gar nicht zuzulassen. Denn wer sich öffnet und verletzlich macht, der wird eben auch verletzt werden. Es ist ganz sicher nicht meine Absicht, Ihnen die Liebe schlecht zu reden, denn Nähe zu erleben, zu spüren, ganz und gar angenommen zu werden, ist magisch. Das Schönste. Vielleicht ist es sogar der Sinn unseres Dasein überhaupt, dieses Glück fühlen zu können.
Dennoch tut Realismus gut. Vielleicht mit einer Spur Pragmatismus dazu. Wer das Schlimmste erwartet, wird nicht enttäuscht, heißt es. Das ist allerdings Pessimismus. Der verhindert, glückliche und wundervolle Momente genießen zu können, weil die Furcht bereits im Verborgenen lauert. Es ist, wie es ist, die Standardhaltung eines Therapeuten ist hingegen eine wertfreie Zustandsbeschreibung. Aus ihr kann sich viel entwickeln und neu entstehen.
Was bedeutet es, enttäuscht zu werden? Zunächst einmal, dass jemand meine Erwartungen nicht erfüllt hat. Wie hoch diese sind, kann mein Gegenüber nicht beeinflussen. Ich könnte von einer Schlange erwarten, dass sie fliegen lernt. Das wäre eine sehr unrealistische Erwartung und mit mir hätte vermutlich niemand Mitleid, würde ich über meine Enttäuschung klagen. Im Gegenteil, ich würde mehrfach zu hören bekommen: Das Ergebnis war doch abzusehen.