Paare werden immer älter und binden sich statistisch erst Mitte 30. Wie wichtig ist das Ausleben und Experimentieren vor Familie und Ehe?
Ich finde, die Sache mit dem Ausleben wird überschätzt. Was die Aussicht auf die Stabilität einer Beziehung angeht, hilft viel nicht viel. Das heißt: Wer vorher über viele Jahre durch viele Betten gehüpft ist, fühlt sich nicht mehr bereit für den sicheren Hafen der Ehe als jemand, der schon immer eher solide gelebt hat. Der Appetit auf Abwechslung ist charakterlich bedingt, es gibt Menschen, die können in einer Ehe nicht treu sein, selbst wenn sie vorher 15 Jahre lang jede Woche einen neuen Partner hatten. Solchen Menschen rate ich nicht, sich noch mehr auszuleben, sondern sich total zurückzuhalten, zu sich zu kommen und zu ergründen, was sie eigentlich treibt, fast wie ein Süchtiger von einem Bienlein zum nächsten zu fliegen.
Warum bezeichnen sich so viele junge Singles als eine beziehungsunfähige Generation?
Weil es den Leuten immer schwerer fällt, Kompromisse einzugehen. Alle fahren ihren eigenen Film, wenn eine winzige Kleinigkeit nicht klappt oder stimmt, wenn der Mann falsche Socken trägt oder die Frau zwei Kilo zu viel wiegt, wird die Beziehung schon in Frage gestellt. So geht Liebe nicht. Wer liebt und lange lieben will, der muss offen sein und liebevoll und kompromissbereit – nicht streng und fordernd.
Welche Rolle spielen bei dieser Selbstdiagnose fehlende Rollenvorbilder aus Familie und Großfamilie?
Diese Selbstbezogenheit wird ja zu Hause vorgelebt. Jede zweite Ehe wird geschieden, meines Erachtens oft viel zu früh und aus fadenscheinigen Gründen. Zu heiraten, das heißt, ein Versprechen abgeben. Das ist eine große Sache, deren Tragweite die Leute nicht mehr verstehen. Wenn Erwachsene so schnell ihre Versprechen brechen, wie sollen die Kinder da das Gefühl für Loyalität und Beständigkeit entwickeln?