Was ist eigentlich schmerzhafter? Die Trennung oder andauernde Verletzungen? Jonathan Bern geht der Frage nach: Gibt es den einen Moment, wenn eine Trennung im Geist vollzogen ist? Oder sind es doch viele?
Ich wachte an einem Samstag auf und buchte spontan den Flug den Nizza. Es ergab keinen Sinn, an einen Ort zurückzukehren, der für mich den Beginn unserer Liebe symbolisierte, aber eine innere Stimme sagte mir, dass ich diese Reise noch einmal antreten musste. Wir hatten schon seit einiger Zeit fast keinen Kontakt mehr, aber da ich nicht die Kraft gehabt habe, dich auf Facebook zu entfernen, konnte ich jeden Tag lesen, wie du dein Leben genießt. Ohne mich.
Was ist schlimmer: streiten oder schweigen?
Ich weiß nicht, was schmerzhafter ist: Sich trennen, weil Streitigkeiten und gegenseitige Verletzungen den Alltag immer mehr vergiften oder weil man sich nur noch stumm und hoffnungslos anschaut. Es gab nicht diesen einen Grund für das Ende der Beziehung, nicht einen neuen Menschen, der plötzlich das Herz des Anderen eroberte, nicht diese eine Kränkung, die man nicht verzeihen konnte. Du wolltest dich von mir lösen, dich wieder frei fühlen und es konnte dir nur gelingen, indem du mich von dir weggestoßen hast. Ich habe um deine Liebe gekämpft und ganz langsam verließen mich leider meine Kräfte.
Ich sitze auf der Terrasse des Cafés auf dem Marktplatz in der Altstadt und erinnere mich, wie dein schönes Gesicht vor Glück strahlte, als ich dir meine alte Heimat zeigte. Vor einem Jahr war ich voller Zuversicht, dich verzaubern zu können und war überzeugt, dass wir uns nicht gesucht, aber gefunden hatten. Es mag erst einmal paradox klingen, aber je mehr ich versuche, das Endgültige zu akzeptieren, desto stärker spüre ich deine Anwesenheit. Das Zauberwort heißt loslassen, in der Theorie sehe ich genau vor Augen, was zu tun ist, aber die Praxis fühlt sich an wie „Cold Turkey“ – ein kalter Entzug. Ich versuche, so gut es geht, mich vernünftig zu verhalten, nicht anzurufen, (fast) keine WhatsApp-Nachrichten mehr zu schreiben. Ich gebe mir Mühe, den Alltag zu meistern, nach außen im Job weiterhin wie bisher zu funktionieren, auch wenn es mich jeden Tag sehr viel Kraft kostet. Ich fühle mich oft erschöpft, leer, traurig und einsam, als ob ein unsichtbarer Sog mich ständig nach unten ziehen würde.
Sich zurückzuziehen, war nie eine hilfreiche Strategie. Keine höhere Macht wird plötzlich die Zeit zurückdrehen, sagen mir meine Freunde. Ich höre zu und finde trotzdem keinen Schlaf. Es gibt Unmengen von Büchern mit Ratschlägen von Experten, die uns wissenschaftlich erklären möchten, wie man die verschiedenen Phasen einer Trennung meistern kann. Mag alles stimmen, aber mir persönlich erscheint es wenig hilfreich. Das Leben verläuft immer anders, als man denkt, auch wenn ich weiß, dass ich mein Schicksal in die Hand nehmen muss und weiterhin auf mein Herz hören möchte.