Die eigene Lebensgeschichte neu schreiben: Rewrite Your Life!

Part II: Fifty shades of unhappiness

Dieser trockene Lebensbericht ist nun dein Ausgangsmaterial, um dich dramatisch in die Tiefe zu schreiben. Als Autor erhältst du jetzt den einmaligen Auftrag, aus den Fakten deines Lebens eine tief traurige Story zu kreieren. Tunke deine Schreibfeder in vor Traurigkeit, Trübsal und Lebensschwere triefende Gefühle und bastele daraus eine melancholische Soap, die dem Leben selbst die Tränen in die Augen treibt. Jedem schönen Erlebnis haftest du einen unheilvollen Schatten an seine Ferse. Wie in einem düsteren Film unterlegst du die Szenen mit einer Melodie, die schwer in den Ohren hängt und einen ahnen lässt: das kann nur schiefgehen, die Idylle ist nur von kurzer Dauer und in sich trügerisch. Was auch immer dir in deinem Leben widerfahren ist, lass das Drama die Regie übernehmen. Die Fakten kannst du dafür ruhig ein wenig verdrehen oder überspitzen. Versuche, die glücklichen Momente nicht auszuweiten oder lass sie teilweise ganz weg. Schließlich lautet der Auftrag, dich so gut und realistisch wie möglich als Opfer ins Schreiblicht zu rücken. Du kannst eine Kurzgeschichte entwerfen oder ein Drama in mehreren Akten verfassen, der Inhalt wird auf natürliche Weise den passenden Rahmen finden.

Wenn du dich als Autor im Schattenreich ausreichend profilieren konntest, ist der Auftrag erfüllt und du kannst dir eine Ruhepause gönnen. Aber nicht allzu lange, damit deine authentische Stimme nicht zu stark rebelliert. Daher geht es nun auch unverzüglich an den Gegenentwurf: Der nächste Auftrag zielt auf die Sonnenseite deines Lebens ab.

Part III: Fifty sunrays of happiness

Wirf nun, um dich für die Variante „Fifty sunrays of happiness“ zu neutralisieren, erneut einen Blick in deinen Tatsachenbericht. Wenn du magst, unterstreiche die Erfahrungen und Erlebnisse, die dir helfen können, aus diesem Bericht eine Erfolgsstory zu entwickeln. Überlege dir, wie du selbst vermeintliche Tiefschläge und Rückschritte als Erfolge verbuchen könntest. Du darfst dabei gern übertreiben, um dich als Held deiner Geschichte ordentlich zu feiern. Was ist dir alles geglückt trotz Widerstände und Enttäuschungen? Aus welcher Perspektive hat sich doch immer wieder alles zum Guten gewendet? Hier und da dürfen die Details ein wenig ausgeschmückt werden, während du großzügig über eigene Fehler und Ungereimtheiten hinwegschreibst. Das Motto dieser Erfolgsstory lautet: Ich lebte, sah und siegte. Der Ton sollte beschwingt und ruhig auch euphorisch sein. Einzig aufs Understatement solltest du verzichten, damit der Applaus umso stärker nachhallen kann. Wenn der Champion in dir ausreichend gewürdigt wurde, gönne dir eine Verschnaufpause.

Du hast nun zwei fulminante Auftritte auf der Lebensbühne gemeistert – auf Grundlage eines schlichten Tatsachenberichts. Erst hast du das Unglück in eine Form gegossen und danach den Glücksrausch. Dabei wirst du vielleicht festgestellt haben, dass es für beide Aufträge einen kreativen Interpretationsspielraum gebraucht hat, weil die Fakten in einen passenden Zusammenhang gebracht werden mussten. Das Leben ist meistens weder pechschwarz noch dauerhaft glücklichgelb – deine eigene Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Sie pendelt sich zwischen manischen Höhepunkten und depressiven Tiefpunkten ein. Dennoch – oder gerade deshalb – kann es einem sehr viel Feuerkraft geben, mal in die eine oder andere Richtung auszuschlagen. Wenn du dich selbst nicht allzu abhängig machst von deinem Glück oder Unglück, kannst du sehr viel freier handeln, fühlen und schreiben – und immer wieder Siesta halten, am besten irgendwo in der Mitte, an einem sonnigen Schattenplatz.

Übung: Warm-up Freestyle: Der Stein schlägt Wellen

Bevor du mit dem Schreiben beginnst, stimme dich ein, indem du deine Lieblingsmusik laut aufdrehst und durch dein Zimmer oder deine Wohnung tanzt. Blicke nicht in den Spiegel, um deinen Tanzstil zu überprüfen, sondern lass deine Gefühle unbeschwert in die Glieder fahren. Summe, pfeife oder trällere unbekümmert vor dich hin. Wenn du dich ausgetobt hast, setzt dich an deinen Schreibort.


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