Ab heute leb’ ich lieber unperfekt: das befriedigende Gefühl, nicht immer die Beste sein zu müssen. Es wird Zeit, sich von meinem Perfektionismus zu verabschieden
Die Klügste, Erfolgreichste, Schönste, Fleißigste und Liebevollste, schlicht einfach stets die Beste sein – warum will ich unbedingt in allen Lebensbereichen eine fehlerlose Figur abgeben? Woher kommt nur dieser Drang, alle Rollen und Aufgaben perfekt bewältigen zu wollen und warum setze ich mich damit so stark unter Druck?
Männer zweifeln gar nicht erst an sich selbst, sondern legen ihre vermeintlichen Makel als Stärken aus und feiern sich selbst. Wieso kann ich das nicht? Stattdessen zähle ich Besenreiser, habe regelmäßig Figurkrisen, verbeiße mich in meinem Job und bin oft unzufrieden mit mir und meiner Leistung. Schnappt bei mir etwa die Emanzipationsfalle zu? Ich gehöre zu der Frauengeneration, die mit allen Freiheiten aufgewachsen ist, für die die Emanzipationsbewegung gekämpft hatte. Meine Eltern haben mir immer vermittelt, dass ich alles kann und darf, dass ich nichts muss, was ich nicht wirklich will. Aber anstatt mich dadurch freier und stärker zu fühlen, leide ich unter diesem ständigen Optimierungswahn. Ich möchte alle noch so widersprüchlichen Ansprüche der Gesellschaft sowie meine eigenen an mich selbst erfüllen. Am Ende des Tages fühle ich mich trotz aller Aktivitäten gestresst, ohne dass das ersehnte wohlige Schulterklopf-Gefühl eintritt. Die Frau von heute müsste eigentlich Superwoman heißen.
Es heißt, dass Perfektionisten das Mittelmaß scheuen. Nur macht eigentlich gerade Perfektionismus das Leben nichtssagender und austauschbarer. Dieser Filter, der auf meiner Selbstwahrnehmung liegt und mich glauben lässt, dass alles an mir makelloser sein müsste, ist mein Feind. Wir leben in einer Zeit, welche von dem Streben nach beständiger Optimierung regiert wird. Immer wieder ertappe ich mich dabei, mein eigenes und das Leben meiner Liebsten um mich herum organisieren und verwalten zu wollen. Sogar das, was gut ist, wird von mir noch einmal optimiert. Und auf der emotionalen Strecke bleibe ich allein – gestresst und absolut überfordert. Ich bin selbst verantwortlich für meinen Zustand, denn ich habe einfach vergessen, dass das Leben vor allem eines ist: ein Experiment im Sinne einer Übung, eines Versuchs, bei dem es darum geht, möglichst viel auszuprobieren. Ich möchte intensiv leben. Dazu gehören allerdings auch Irrtümer, Fehler, Niederlagen, die ich bisher verbissen versucht habe, zu umgehen.