Die bekannte US-Schauspielerin Mary-Louise Parker hat mit DIE MÄNNER MEINES LEBENS ein Buch veröffentlicht. Einen der 34 Briefe ihres Buchs wollen wir Ihnen an dieser Stelle unbedingt ans Herz legen:
Lieber Mann, der in Zukunft meine Tochter lieben wird,
tauche vor allen Dingen spät auf der Bildfläche auf. Vielleicht ist es besser, wenn sie zunächst ein bisschen vom Gegenteil von dir kennenlernt und sich in deinen Armen erst entspannt, wenn sie sicher ist, dass du hinter deinem ursprünglich gezeigten Gesicht kein anderes, gruseliges verbirgst.
Verbirg kein anderes Gesicht. Ja. Das wäre mir wirklich lieber.
Schwing dich spät herab, aber nicht so spät, dass sie es nicht glauben wird, wenn du behauptest, du willst sie trunken machen vor Glück.
Mach sie trunken vor Glück.
Mach sie unglücklich. Sei egoistisch. Eine Weile lang. Lange genug, dass sie wirklich leidet. Wenn sie die Nase voll hat vom Leiden, das sie nur mitfühlender machen wird, sieh zu, wie sie aufsteigt wie die letzte Welle des Meeres und dich mit ihrem Schweigen erschlägt. Beachte, wie dieses Schweigen dich attackieren wird, wenn sie dir erklärt, dass sie genug hat und du dich ändern musst. Du wirst sehen, wie sich ihr Mund bewegt, und die Worte wiedererkennen, die Sätze bilden mit der Bedeutung: »Verschwinde auf der Stelle, oder ich verlasse dich.« Doch was ist mit der Stille, die droht, ewig zu dauern, wenn du dich nicht fügst? Sie ist so viel lauter als ihre Worte. Sie wird weder weinen noch bitten. Sie wird wissen, dass sie auch allein mächtig und vollkommen ist, dass sie dich nicht braucht. Die Bestimmtheit ihrer Worte wird dir Angst machen. Du wirst dich für sie verändern, weil dir klar wird, dass es niemanden gibt, für den sich eine Veränderung mehr lohnen würde.
Sage ihr, dass sie schön ist, in jeder neuen Sprache, die du erfinden kannst. Sei vorsichtig mit Metaphern, denn sie wird ihrer vielleicht überdrüssig sein, weil ihre Mutter sie überstrapaziert haben wird, weswegen sie womöglich immun sein wird gegen Poesie.
Erinnere sie an Poesie.
Wenn sie dir Kinder geschenkt hat, erinnere dich selbst jeden Tag an das zweite, dritte, vierte, fünfte Wort dieses Satzes.
Wenn du sie auf irreparable Weise verletzt, werde ich Leute ausschicken, die dich ebenfalls verletzen, es tut mir leid, aber so muss es sein. Ja, vielleicht hattest du eine schwierige Kindheit, aber bitte gestatte, dass ich mich vorstelle: Hallo, ich bin die Frau, der das scheiß-egal ist.
Mach ihr morgens etwas Warmes zu trinken und lass ihr Zeit, bis sie sprechen will; stürz dich nur mit einer Umarmung oder einem Edelstein auf sie. Mit Wiesenblumen. Einem Liebesbrief. Yeats.
Streite nicht in der Öffentlichkeit mit ihr. Auch nicht vor dem Hund. Ihr elegantes Auftreten sollte nie kompromittiert werden. Das hat etwas mit Loyalität zu tun, ich weiß nicht genau, auf welche Weise, aber es ist so. Sprich nur in den höchsten Tönen über sie, auch an den Tagen, an denen du dich über sie ärgerst. Übertreibe! Du hast dir das schönste Mädchen der Welt geangelt. Lass zu viele Menschen wissen, wie stolz du auf sie bist, so dass auch sie Wind davon bekommt und stolz ist, sie selbst zu sein.
Nimm ihre Hand. Bemerke, dass sie ein Kunstwerk ist.
Sei ihrem Bruder ein Freund. Sei ihm ein Bruder. Hilf ihm, wenn er Hilfe braucht, und gib ihm die Gelegenheit, dir zu helfen. Ruf ihn grundlos an, und schau mit ihr bei ihm vorbei auch an Tagen, an denen dir nicht danach ist, nur um sicher zu gehen, dass sie einander verbunden sind und sich vertrauen.
Wenn ihr Bruder eine Geschichte über mich erzählt, in der ich als besonders nervig dastehe, dann bitte, mach dich ruhig lustig. Sie sollen Trost in der Tatsache finden, dass sie eine Mutter haben, die nur ihnen gehört, und eine Kindheit, so wild und einzigartig, wie sie beide es sind. Es ist mir ein Bedürfnis, dass sie einander haben. Viel mehr wünsche ich mir nicht. Meine Brüder haben mich beschützt und verteidigt, und das wird sie auch brauchen. Sollte jemand ihre Ehre beleidigen oder sie bedrohen, wird ihr Bruder in den Ring steigen, und du wirst ihn dort hoffentlich nicht allein lassen. Ich habe bereits erlebt, wie er das tut, und es erfüllt mich mit Stolz, auch wenn es dabei gegen mich ging. Mein Bruder begleitete mich zur Bushaltestelle, als er erfuhr, dass ich aufgrund meiner großen Unbeliebtheit nie einen Sitzplatz im Bus bekam. Er stand da, die Arme verschränkt, als würde er alle anderen davon abhalten, den Rest ihres Lebens zu betreten, wenn sie nicht seinem Wunsch nachkamen, mich respektvoll zu behandeln. Er sagte kein Wort, sondern starrte nur jedes Kind an der Straßenecke an und versprach ihnen, dass ihre Zukunft fragwürdig wäre, außer sie begriffen. Alle Gespräche verstummten. Ein Kind warf einem anderen heimlich einen Blick zu, und er wirbelte herum und sah, wie sie sich angesichts seiner Drohung ungläubig anschauten.
Versucht’s nur,
sagte sein Blick. Und:
Glaubt ja nicht, dass ich es nicht wahrmache.
Der Bus fuhr vor. Ich stellte mich an und schaute zu ihm, wie er immer noch dastand bebend vor kaum bezwungenem Zorn. Ich übermittelte ihm meine Dankbarkeit. Sein Blick antwortete:
So wenig braucht es.
Ich wusste, wie wenig, aber es tat gut, es zu sehen. Unnötig, zu erwähnen, dass ich einen Sitzplatz bekam. Ich entdeckte eine andere Variante davon bei meinem anderen Bruder an dem Tag, als mein Sohn geboren wurde und er ins Krankenhaus kam und alle hinauskomplimentierte, die nicht dorthin gehörten, damit ich mich ausruhen konnte. Er nahm meinen Sohn auf den Arm und las ihm vor. Er las Pu der Bär, Ginsbergs »Geheul«, E. E. Cummings. Er sang »New York, New York« als sein erstes Schlaflied. Die beiden zusammen auf dem Stuhl gehören zu den Dingen, zu denen ich am Ende meines Lebens in Gedanken zurückkehren werde, wenn es mir gestattet wird.
Sorge dafür, dass du ihre Onkel und ihren Bruder so gut kennst, dass sie eifersüchtig wäre, wenn es sie nicht so glücklich machen würde. Wenn sie Gefahr läuft, den Geburtstag ihres Bruders zu vergessen, erinnere sie daran und lade ihn im Zweifelsfall ein. Wohin auch immer. In vielerlei Hinsicht ist er für sie wichtiger als du, und ich weiß, das wirst du verstehen. Ich verlange zugegebenermaßen viel von dir, aber vergiss nicht:
Du hast bereits den Hauptgewinn.
Herzlichen Glückwunsch. Wirklich. Sie geht jetzt noch in die Schule und behauptet fest, dass sie nie heiraten wird, aber insgeheim hoffe ich, dass sie und ihr Bruder etwas von meinen Eltern haben, das überdauert und sie tröstet. Etwas, das von seinem eigenen Mond erhellt wird.
Sei ihrer würdig. Gott segne dich dafür, dass dir die Richtige aufgefallen ist.
Mary-Louise Parker
Die Männer meines Lebens
Hardcover
ISBN: 978-3-10-397215-3
€ 20,00
Erhältlich bei fischerverlage.de