Wie kann ich jemandem, den ich liebe, verbieten, sich zu verlieben? Paarberater Eric Hegmann im Gespräch mit der Philosophin Birgit Ehrenberg über ein hochemotionales Konfliktthema
Eric Hegmann: Liebe Frau Ehrenberg, in der Paartherapie wird die Affäre mit dem Begriff „Außenbeziehung“ beschrieben und sie ist tatsächlich einer der häufigsten Anlässe für Paare, eine Beratung aufzusuchen. Eine neue Parship-Studie fand heraus: Mindestens jeder Vierte ist schon einmal fremdgegangen. Überrascht Sie das?
Birgit Ehrenberg: Das überrascht mich ganz und gar nicht. Ich bin mir sicher, die Dunkelziffer ist sogar wesentlich höher. Wir leben in einer Zeit der unbegrenzten Möglichkeiten und Freiheiten, wir sind vor allem wegen des Internets schneller, flexibler, offener und damit deutlich verführbarer als unsere Vorfahren. Allein durch einen Mausklick kann ich mir eine Affäre ins Haus oder ins Hotel holen, ohne dass mir jemand im Nacken sitzt, der von mir verlangt, meine feste Beziehung aufzugeben. Diese Online-Portale für Seitensprünge sind ja das Schlaraffenland für Fremdgeher und Fremdgeherinnen. Ich dachte lange Zeit, dass Frauen überhaupt keine Lust auf diese Art von unverbindlicher Erotik haben, es sind meiner Einschätzung nach auch wenige Damen, die das gut finden. Aber immerhin, die eine oder andere gibt es auf den unzähligen Seitensprung-Portale doch.
Eifersucht ist durch Verlustangst geprägt, allerdings wäre es ja auch schlimm, wäre es dem Partner egal, was außerhalb der Beziehung passiert, denn das würde ja auch besagen: Du bist mir egal, unsere Beziehung ist mir egal. Aber wie weit darf und kann überhaupt die Kontrolle über die Gefühlswelt des geliebten Menschen gehen?
Sie fragen mich, ob ein Mensch seinem Partner verbieten könne, sich (neu) zu verlieben. Bei der eben von mir beschriebenen Art von organisierter Untreue geht es dezidiert nicht ums Verlieben. Das können wir vergessen. Es gibt eine erstaunliche Anzahl an Paaren, die sich bestens arrangieren, was diese Art von Betrug angeht, die sich ihn ausgesprochen oder unausgesprochen zugestehen – eben unter der Voraussetzung, dass man sich nicht verliebt. Das hat Folgen für den Umgang mit dem Objekt der Begierde. Bei einer längeren Affäre wird dann zum Beispiel aufs Küssen verzichtet und das als erotische Spielart verkauft, eine gemeinsame Übernachtung ist verboten, damit nicht durch zu viel Nähe das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet wird und man sich doch verliebt. Treue in der Untreue nennt man das. Alles anstrengend, finde ich, ich kenne allerdings viele Menschen, die darauf schwören.
Wir müssen also verschiedene Formen der Untreue voneinander unterscheiden. Es sind zwei verschiedene Paar Schuhe, ob sich einer im Büro neu verliebt, in Gewissensnöte gerät, seinen Gefühlen nachgibt und dadurch ein Konflikt entsteht – oder ob jemand aus dem Internet eine schnelle Nummer fischt und emotional nicht verwickelt ist.
Ja, fest steht: Es braucht jedenfalls für beide Modi der möglichen Untreue ein gehöriges Maß an Tugendhaftigkeit, um den attraktiven „Angeboten“ zu widerstehen.
Ich fürchte, dass die wenigsten Menschen mit dem Begriff der Tugend heute noch etwas anfangen können. Tugend ist eine moralische Kategorie, sie gilt als altmodisch, und das will keiner sein. Wie sich das schon anhört für postmoderne Ohren: Moral, Tugend, da winkt jeder müde ab. Sich selbst etwas verbieten, Disziplin an den Tag legen, seine Triebe beherrschen, die Zähne zusammenbeißen können, wenn die Versuchung lockt, mit diesen Eigenschaften kann man heute keinen Blumentopf mehr gewinnen, das gilt als langweilig, jedenfalls solange man nicht selbst von Untreue betroffen ist. Dann ist das Geschrei natürlich groß und man hätte plötzlich lieber einen sehr tugendhaften Partner gehabt und nicht einen, der sich von seinen Leidenschaften hinreißen lässt, obwohl man es vielleicht früher unwiderstehlich fand, dass der Partner ein heißer Feger ist. Ein heißer Feger fegt aber auf die Dauer nicht nur vor der eigenen Tür. Das ist alles ganz logisch. Man hätte sich mit Hilfe seines gesunden Menschenverstandes schon ausrechnen können, dass ein Seitensprung irgendwann stattfinden wird, denn Langzeitbeziehungen werden von heißen und auch weniger heißen Fegern nicht mehr als leidenschaftlich empfunden.