Wir wollen doch ein Wir werden

Der Ehemann begann, jeden zweiten Samstag alleine oder mit seinen Freunden wandern zu gehen und einmal alle zwei Monate kam seine Frau sogar mit. Jetzt gerne und tatsächlich wieder ein Stück begeistert – sogar eigene Routenvorschläge begann sie zu unterbreiten. Parallel entwickelten sie gemeinsame neue Hobbies und ließen sich dabei auf für beide neue Erfahrungen ein: Sie buchten einen Tanzkurs für Paare und lernten Standardtanz. Zusätzlich schrieb sich die Frau an einem öffentlichen Institut ein und lernte für sich allein die Kunst des folkloristischen Nähens.

Was war geschehen?

Ein Paar verliebt sich und baut eine Beziehung auf. Der Fokus liegt dabei – gerade in der Verliebtheitsphase – deutlich auf dem Wir, dem Entdecken des anderen, dem Wunsch, möglichst viel Zeit mit ihm zu verbringen und (fast) alles miteinander zu teilen. Unmittelbar anschließend an die Verliebtheitsphase tritt eine Konsolidierungsphase ein: Erste Meinungsverschiedenheiten tauchen auf, Regeln und Standards werden gebildet und abhängig von den jeweiligen Kindheitserfahrungen der beiden Partner etabliert sich eine (Un)-Streitkultur.

Das Wir wird verfestigt, was einerseits dem Miteinander im Alltag und später der Familie dient, andererseits aber auch eine gewisse Inflexibilität mit sich bringt. Die jeweiligen Ichs – in der Verliebtheitsphase noch als bezaubernd, neu und attraktiv wahrgenommen – werden jetzt oftmals als problematisch und nicht der Paarharmonie dienend wahrgenommen. Kurz, sie werden abgeschliffen und – wenn überhaupt noch – nur rudimentär gelebt, oft auch in den Resten nicht mehr freudvoll.

Wie sieht nun die Lösung aus?

Nach ihrer so notwendigen und wichtigen Krise haben sie beides getan: Das Wir gelebt und nach neuen Formen gesucht und gleichzeitig das Ich kultiviert und am Leben gelassen! Und genau das ist Differenzierung: Zwei lebendige und kultivierte Ichs gestalten gemeinsam und individuell ein Wir aus ihrer Schöpferkraft heraus, das heißt aktiv und kreativ.

Dabei spielen geteilte Information und der ständige, lebendige und offene Austausch eine entscheidende Rolle: Der Partner darf und in diesem Fall muss er regelrecht Informationen über meine Bedürfnisse und Wünsche erhalten und auch erfahren, wenn ich etwas nicht mag!

Ohne diesen Austausch funktioniert Differenzierung nicht – und ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass eine langfristige erfüllende und glückliche Partnerschaft sonst unmöglich ist.


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