Und warum auch der heutige Mann sich am Ende eines langen Tages überhaupt darin zurückzieht, erklärt Thorsten Wittke
Es gibt sie. Diese Tage, an denen man einfach nicht mehr kann. Morgens mit dem linken Fuß aufgestanden, zu spät zur Arbeit gekommen, vom Chef angeranzt worden, mittags in der Kantine war das Lieblingsgericht ausverkauft und der pünktliche Feierabend war Geschichte, als fünf Minuten vor Schluss noch ein wichtiger Kunde mit einem Problem vor einem stand.
Wenn Frauen das passiert und sie abends nach Hause kommen, wird davon erzählt. Dem Partner, der Freundin, oder wer auch immer ihr in die Finger kommt – und wenn es die Katze ist. Es wird beim Erzählen verarbeitet und Frust abgebaut. Bei geschätzt 98% der Männer verhält es sich anders und ich bin einer davon.
Ich möchte ohne zu denken vor mich hin starren
Nach solch einem Tag möchte ich einfach nur meine Ruhe haben. Ich möchte heim kommen, auf meine Couch fallen, den Fernseher anmachen und einfach nur hirnlos und ohne zu denken vor mich hin starren. Das ist quasi meine Analogie zu meinen Vorfahren vor 30.000 Jahren. Wenn der Neandertaler am Ende des Tages kein Mammut und keinen Säbelzahntiger erlegen konnte und erfolglos von der Jagd zur Höhle kam, hat er einfach nur noch ins Feuer starren wollen. Hinter ihm lag ein Tag voller Misserfolge, nichts womit man vor den Kumpels prahlen konnte und auch nichts wofür man sich vor der Familie rechtfertigen wollte. In seiner Welt hatte er versagt, die Familie hatte Hunger, er machte sich Sorgen und schämte sich dafür.
Auch wenn es nicht schön ist, diesen Neandertaler, der tief in uns steckt, werden wir einfach nicht los. Deshalb brauchen Männer ihre Höhle, am besten mit einem Feuer, in das wir starren können. Die Höhle muss kein Loch im Felsen mehr sein. Großvater ist in die Kneipe gegangen, hat Pils und Korn getrunken und dabei ins Glas gestarrt. Vater hatte seinen Hobbykeller, dorthin zog er sich zurück, sortierte das Werkzeug oder saß auf seiner Werkbank. Heute liegt Mann halt auf der Couch und starrt in den Fernseher, quält die Playstation oder zieht die Laufschuhe an und geht joggen. In 30.000 Jahren hat sich nichts geändert, der Mann möchte einfach nur allein sein. Allein mit seinem gefühlten Versagen, seinen Misserfolgen, seinen Gedanken und seinen Problemen. Wie ein Hund, der stundenlang auf einem Knochen rum kaut und nicht müde wird, sich daran die Zähne auszubeißen.
Diesen Neandertaler werden Männer nicht los
Als intelligenter Mann weiß ich, dass darüber reden helfen würde. Aber ich kann es nicht und eigentlich will ich es auch nicht. Wenn ich darüber reden würde, würde ich anfangen mich aufzuregen. Über mich, die Welt und alles, das sich gegen mich verschworen hat. Ich würde ungerecht werden, anderen die Schuld geben und wehe irgendjemand käme mir dann noch mit guten Ratschlägen. Mein ganzer Zorn hätte dann endlich ein Ventil gefunden und würde sich über die arme Frau an meiner Seite ergießen, die eigentlich nur helfen will. Da ist es besser, wenn ich mich erstmal in meine imaginäre Höhle zurückziehe. Ich habe die Möglichkeit den Tag und mich zu reflektieren, darüber nachzudenken, was mein Anteil daran war, was ich hätte anders oder besser machen können. Oder ich komme irgendwann darauf, dass es solche Tage gibt und ich nichts hätte anders machen können. Wie auch immer, irgendwann werde ich ruhiger, höre auf, mir Gedanken zu machen, werde langsam wieder ansprechbar und etwas später könnte man meinen, dass nie etwas vorgefallen wäre.
Es gibt auch die Möglichkeit, mich aus der selbst gewählten Quarantäne zu befreien. Aber die ist anstrengend und schwierig. Es mag albern klingen, aber ich brauche ein gutes Gefühl. Ich möchte wichtig sein, eine Aufgabe lösen, die nicht zu einfach, aber auch nicht zu schwer ist. So, dass ich sie schaffen kann, mich dabei aber nicht unterfordert fühle. Alternativ hat es auch schon mal geklappt, wenn man mich um Rat gefragt und diesen ohne Diskussion angenommen hat. Ich brauche in diesem Moment einfach das Gefühl, mal was richtig zu machen und gebraucht zu werden. Wie gesagt, es ist schwierig. Wahrscheinlich ist es einfacher, sich etwas zu tun zu suchen und mich in Ruhe zu lassen, bis es vorbei ist, vielleicht der Freundin davon erzählen und darüber reden, wie seltsam doch Männer sind.