“Sei wie du bist!” – Ein guter Rat. Aber was, wenn diese Person unleidlich, ungnädig, übellaunig …, also schlichtweg NICHT liebenswürdig ist?
“Sei authentisch.” “Sei ganz du selbst.” “Vergeude deine Zeit nicht mit Dingen, die du nicht möchtest.” “Lerne dich selbst zu lieben.” Meine Ex hatte solche Weisheiten verinnerlicht. Wenn sie schlechte Laune hatte, dann war das für alle in ihrem Umkreis zu bemerken. Da blieb kein Zweifel offen. Und kein Auge trocken. Lassen Sie mich es so ausdrücken: Sie ließ Dampf ab, wenn es in ihr kochte. Aus Prinzip. „Raus mit deiner Wut!“, hatte sie in einem der vielen Selbsterfahrungs-Workshops gelernt, die sie an den Wochenenden besuchte. Allein übrigens. Weil: „Ich bin dann unbefangener. Du hemmst mich.“ Genau das, was man hören möchte von der Person, mit der man sich in Liebe verbunden wähnt. Aber geliebt hat sie nicht nur vor allem, sondern ausschließlich sich selbst.
Doch zurück zur schlechten Laune. Ich bin eher der Typ, der meint, in Gemeinschaften ist es grundsätzlich nicht verkehrt, sich auch einmal zusammennehmen zu können. Was gleichzusetzen ist mit sich zurücknehmen zu können. Sie war eher so der Typ: „Wer meine guten Seiten lieben kann, sollte verdammt nochmal lernen, meine schlechten ebenfalls zu mögen.“
Das ist in der Theorie ja richtig. Es gibt kein Licht ohne Schatten. Je nach Situation und Perspektive können Verhaltensweisen gut oder schlecht wahrgenommen werden. Den Taxifahrer anzupampen, dass er einen Umweg für umgerechnet 20 Euro gefahren ist, mag Erfolg versprechend sein, um die ungebetene Rundreise später nicht bezahlen zu müssen. Vor Antritt der Fahrt jedoch die Waffe zu zücken und ohne Vorwarnung zu feuern, dass er sich bloß nicht einbilden solle, nur einen Meter von der von ihr vorgegebenen Route abzuweichen, weil sie ihn sonst bei seiner Zentrale melden würde, zeigt jedoch eine recht überschaubare Sozialkompetenz. Also meiner Meinung nach.
„Damit verhindere ich Enttäuschungen“, erklärte sie mir. Und wies mich darauf hin, dass sie schließlich unausstehlich würde, wenn man sie übers Ohr hauen wolle. Ich – und vermutlich der Fahrer ebenso – hatten allerdings den Eindruck, dass es sich dabei weniger um eine Prognose für die Zukunft als eine Beschreibung des Ist-Zustandes handelte. Auf meine Bitte hin, es vielleicht einmal mit Freundlichkeit zu versuchen, wenn schon nicht mit Gemütlichkeit, erwiderte sie: „Das bin ich nicht.“
Sie hat ausschließlich sich selbst geliebt
Was sie war, war, was sie interessierte. Wie sie sich fühlte, wie sie das Leben wahrnahm, was sie für die Welt bereit hielt (und nicht umgekehrt). Sie konnte mitten im Film aus dem Sessel aufspringen und den Kinosaal wechseln, weil die Geschichte sie traurig machte und sie jetzt lieber lachen würde. Ich finde, man kann sich gut vorher überlegen, ob man in der Stimmung für ein vietnamesisches Drama ist oder für eine Comedy. Aber hey, was wusste ich schon: „Stimmungen ändern sich. Lass dich treiben. Sei nicht so angepasst.“ Gleichzeitig war sie auch Anhängerin der Bewegung: “Sei immer ehrlich.” Sie fand das befreiend. Ich erlebte das als verletzend. Vielleicht weil auch hier der Ton die Musik macht. Aber: Diplomatie fand sie verlogen.
Sie möchten wissen, wieso ich mit ihr zusammen war und blieb? Weil ich verliebt war und durchaus denke, in einer Beziehung sollten Menschen sich nicht verstellen müssen. Da hatten alle ihre spirituellen Lehrer durchaus Recht. Es war ihre Lebenszeit. Weshalb sollte sie die mit Dingen vergeuden, die sie nicht wollte? Warum sollte sie nicht deutlich sagen, dass sie nicht verarscht werden möchte? Oder dass eine Überdosis Drama sich gut ausgleichen lässt mit Humor? Oder dass ihr das, was ihr gestern im Schlafzimmer gefallen hat, jetzt überhaupt nicht zusagt?
Wer zu seinen Wünschen steht, ja, vielleicht überhaupt erst stehen kann, führt ein intensives Leben. So viel Zeit haben wir nicht, dass wir permanent Rücksicht nehmen sollten auf Menschen, die wir gar nicht kennen. Ich will mir nicht anmaßen zu behaupten, ich wüsste genau, wo die Grenze zwischen Egoismus, Narzissmus und Selbstliebe verläuft.
„Sei ganz du selbst“, ist grundsätzlich ein guter Ratschlag. Aber eben nicht, wenn man sich dann arschig verhält.