Clara ist Spanierin, für sie ist die Familie heilig. Ihre Eltern und die drei Geschwister leben in Hamburg, es vergeht keine Woche, wo nicht alle mindestens einmal beim üppigen Essen an einem Tisch sitzen, reden und lachen. Frank ist zwar kein lebhafter Spanier, sondern eher ein zurückhaltender Hanseat, aber er ist ebenfalls durch und durch ein Familienmensch. Er hat noch einen Bruder, er war nie gern ein Einzelkind, und er empfindet die Geschwister von Clara wie sein eigen Fleisch und Blut. Clara und er hätten gern einen ganzen Stall voller Kinder und arbeiten daran.
Als Frank sich in Clara verliebt hat und darüber nachdachte, ob es mit ihr etwas Ernstes werden kann, war das für ihn ein wichtiges Kriterium, dass es an Claras Seite möglich sein würde, das Beziehungsleben in das Familienleben zu integrieren, kein Rückzug in die Paar-Gemeinschaft also, wie es viele Paare tun, die mit Familie nichts am Hut haben. Clara ging es genauso, sie hatte bereits einige Männer kennengelernt, die die Augen verdrehten, weil ihr die Familie so wichtig ist, und sie hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, einem Mann zu begegnen, der die Dinge sieht wie sie. Sie war begeistert, dass sie in Frank den Partner gefunden hat, mit dem sie ihr Lebensgefühl teilt und wusste, der Mann ist was für immer. Ihre Familie hat Frank sofort mit offenen Armen aufgenommen, und Clara ist für Franks Eltern die Tochter, die sie nie hatten.
Weihnachten ist Familienzeit
Weihnachten ist für Frank und Clara das Familienfest schlechthin, schon im Herbst wird über den Speiseplan diskutiert, und es werden die ersten Geschenke gekauft. Jedes Jahr ist ein anderer Teil der Familie dran mit der Festgestaltung, in diesem Jahr richten Clara und Frank Weihnachten aus.
In den Zeiten von Corona ist deren Vorfreude getrübt, denn anstatt darüber zu diskutieren, ob es Gans oder Ente gibt, geht es darum, wie viele Leute kommen dürfen, das ist die bange Frage. Normalerweise sind auch Cousins und Cousinen und die Großeltern dabei, hier wurde bereits schweren Herzens abgespeckt. Über den „Rest“ streitet sich das Paar.
Lieber ein Jahr allein feiern als alle Jahre
Für Frank ist es nicht maßgeblich, was erlaubt ist, sondern was am sichersten ist. Er plädiert dafür, mit Clara allein zu feiern und auch Eltern und Geschwister nicht einzuladen, damit vor allem die Eltern geschützt und geschont werden. Lieber ein einziges Mal zu zweit unterm Baum sitzen und dann wieder im nächsten Jahr alle zusammen, als andere oder sich selbst zu gefährden, das ist sein Motto. Clara kann mit dieser Sicht überhaupt nichts anfangen, sie wirft Frank vor, dass ihm auf einmal der Familiensinn abhandengekommen sei und er sich einer allgemeinen Hysterie unterwerfe und ihr die Menschlichkeit opfere. Der Rest der Familie ist neutral und möchte es Clara und Frank überlassen, auf welche Weise sie feiern wollen.
Feiern ja, aber Corona-konform!
„Familie ist für mich der höchste Wert, und das in guten und in schlechten Zeiten“ sagt Clara. „Ich würde vielleicht sogar etwas riskieren, einen Regelbruch zum Beispiel, um mit unserer Familie Weihnachten zusammen zu sein, wobei ich nicht wüsste, was ich hier riskiere, wenn ich zehn Menschen in der Wohnung habe, zehn Menschen dürfen sich in einem Haushalt treffen (Anm. der Redaktion: Das Zitat wurde vor der Verschärfung der Corona-Maßnahmen getätigt). Und wir sind zehn Personen und eine Handvoll Kinder unter 14. Wo ist das Problem? Wer weiß, was nächstes Jahr ist? Es geht hier nicht nur um Weihnachten. Frank und ich, wir streiten uns im Grunde genommen über eine generelle Haltung dem Leben gegenüber.
Für mich ist ein Leben erfüllt, wenn ich den Augenblick genieße, das entspricht auch meinem Temperament. Das bedeutet nicht, dass ich mich in irgendeiner Weise gegen die offiziellen Bestimmungen auflehne, dass ich sie gar ablehne. Ich bin keine Egoistin, die ihren eigenen Stiefel durchzieht und sich nicht um das Wohl ihrer Mitmenschen schert, im Gegenteil. Für mich ist unsere Gesellschaft so etwas wie eine große Familie, ein System, in dem einer für den anderen einsteht und für das Gemeinwohl auch Opfer bringt. Das sehe ich als politisch denkender Mensch so, und ich verstehe das als meine Pflicht als Christin.
Wenn es mir allerdings möglich ist, an einem so bedeutenden Anlass wie Weihnachten, das politisch Erlaubte auch in die Tat umzusetzen, wie sollte ich mich hier von Angst leiten lassen und mit meinem Mann lieber allein feiern? Das passt nicht. Die Liebe zu meiner Familie ist das Prinzip, das mich leitet, daraus ziehe ich Kraft, daraus schöpfe ich Vertrauen. Wir halten alle zusammen. Was wir tun, das hat seinen Sinn, das geschieht eben im Namen der Liebe. Und deshalb feiern wir zusammen Weihnachten. Das ist für mich ein Statement.“