Von diesen Folgen früher seelischer Verletzungen zurück zur aktuellen Corona-Isolation: die ist im Grunde un-menschlich, weil un-sozial. Klar, einige Menschen sind vom engen und lauten Großstadtleben richtig angepestet, da braucht es keine Viren-Partys zu, aber bis auf wenige Misanthropen abgesehen, bedeutet der Verlust von sozialem Kontakt für Menschen echtes, spürbares Leid. Unsere Gehirne sind derart gebaut, dass sie Austausch und Verbindung benötigen, um richtig zu funktionieren. Das muss nicht gleich ein Liebespartner sein, Freunde können ebenfalls Sicherheit und Geborgenheit schenken, aber Alleinsein, erzwungene Isolation ohne Kontakt zu den Liebsten: eine Qual. Aus diesem Grund ist auch die erste heftige Ablehnung des Gedankens einer erzwungenen Quarantäne verständlich: hier wird eine Entscheidung getroffen gegen ein Grundbedürfnis. Isolationshaft ist nicht umsonst eine fragwürdige Strafe, die Menschenrechtsorganisationen ächten und verurteilen.
Endlich wird wieder mehr telefoniert
So schlimm ist es dann für die meisten nicht gekommen. Nur gut also, dass die Corona-Quarantäne viele Paare und Familien gemeinsam festsetzte und vielen Singles dank Telefon und Internet zumindest der Kontakt zu Freunden und Bekannten blieb. Tatsächlich scheint es nun als ein Segen, dass dort, wo wir uns 24 Stunden pro Tag, 7 Tage pro Woche, aufhalten, nämlich im Internet und im virtuellen Raum, es uns möglich war, Kontakte zu knüpfen, zu halten und zu vertiefen. Bei Single-Börsen erhöhte sich die Aktivität. Video-Telefonie wurde so populär wie nie zuvor, dabei gab es die schon gefühlt eine Ewigkeit. Hat nur kaum jemand genutzt, außer vielleicht Paare in Fernbeziehungen und Hipster- und Nerd-Eltern für Enkel-Großeltern-Gespräche. Überhaupt hat das Smartphone in den vergangenen Monaten zeigen können, dass es nicht nur als Chat-Maschine taugt, sondern dass man tatsächlich mit dem Game-Musik-Video-Web-Navigations-App-Superteil auch – Achtung, wait for it …! – telefonieren kann! Ernsthaft!
Chatten hilft nicht gegen Einsamkeit. Kurze, abgehackte Sätze mit vielen bunten Emojis funktionieren gut fürs erste Abchecken, für viele parallele Gespräche, die nicht tiefer gehen müssen als ein erstes Interesse zu überprüfen und dann – vielleicht – irgendwann ein Treffen anzustreben. Nachdem natürlich gleichzeitig immerzu überprüft wird, ob es nicht möglicherweise noch bessere Kandidaten gibt. Und genau das scheint sich zu verändern. Ob nachhaltig, wird man sehen, aber ich erhalte von meinen Klienten vermehrt die Rückmeldung, dass die Gespräche tiefgründiger geworden sind. Dass Singles seltener viele Kontakte parallel verfolgen, weil es ja eh nicht zu einem Treffen kommen wird, und stattdessen weniger Kontakte intensiver gepflegt werden. Meinen, natürlich nicht repräsentativen Eindruck, bestätigte auch in einem Interview mit der Welt die Psychologin und Forscherin Johanna Degen, die seit Jahren das Verhalten von Singles bei Tinder untersucht: „Bislang gibt es die Tendenz, dass Singles schnell aussortieren, „Selbst 98 Prozent bei einem tollen Date sind nicht genug …“ Das ist unrealistisch und führt zu schneller Abfolge von Partnern und Selbstzweifeln … Durch die derzeitige Isolation besteht die Gelegenheit, sich tiefgründiger kennenzulernen, sich zu verstehen und lieben zu lernen. Dabei verschieben sich jetzt auch Werte und Merkmale von Attraktivität.“