Narzissmus und Liebe
Mein Eindruck ist, dass das exzessive Kreisen ums eigene Ich massive Auswirkungen darauf hat, was zumindest viele Menschen unter Liebe verstehen. Liebe, wie ich sie bisher verstanden habe, meint das selbstlose, empathie-basierte Sich-Jemandem-Zuwenden, bei dem der Andere so angenommen wird, wie er ist. Liebe kennt dabei weder Erwartungen noch Bedingungen, ja sie kann strenggenommen nicht einmal „enttäuscht“ werden, da dies wiederum eine vorherige Erwartung an den Anderen implizieren würde.
Liebe in diesem Sinne hat primär nichts mit meinem Ich oder unserem Wir zu tun, sondern allein mit dem Du meines Gegenübers. Ich liebe – nicht, weil der Andere so ist, wie ich ihn/sie haben möchte (Erwartungen, um meine eigenen „Mängel“ vom Anderen auffüllen zu lassen), sondern weil er/sie beim Kennenlernen in mir eine Saite angeschlagen und in mir den Wunsch ausgelöst hat, mich ihm/ihr liebend zuzuwenden. Dass Liebe zugleich das schönste Gefühl überhaupt ist, unendlich guttut und jemanden zu lieben ein tiefes menschliches Grundbedürfnis befriedigt, ist schön und legitim, aber hoffentlich nicht entscheidend.
Selbstlose Liebe vs. narzisstische Liebe
Eine solche (zugegeben doch ziemlich ideale) Liebe ist natürlich kein Dauerzustand. Niemand von uns kann dauerhaft selbstlos lieben. Niemand wird alle, wirklich alle Seiten des Anderen akzeptieren. Und eine Beziehung ist natürlich auch nicht dasselbe wie Liebe. Aber es wäre schön, wenn eine Partnerschaft zumindest von einer gehörigen Portion einer solchen Liebe getränkt wäre. Von einer Liebe, die kein Mittel zum egoistischen Zweck ist.
Heutzutage (vielleicht war es früher ja nicht anders?!) scheinen mir allerdings viele Liebesbeziehungen und Beziehungsversuche stark durch einen destruktiven Narzissmus eines oder – in der Regel – beider Partner geprägt zu werden. Mit dem Ergebnis, dass solche Beziehungen entweder von vornherein eine „Sollbruchstelle“ beinhalten und somit nach einiger Zeit in die Brüche gehen, oder dass sie bestenfalls halbglücklich geführt werden, weil die Partner (in ihrem Narzissmus gefangen) in ihnen nicht das finden, was sie zu finden hofften/erwarteten. (Hier sei auch noch einmal an die Strafe des mythologischen Narziss‘ erinnert: unstillbare Selbstliebe).