Noch mal zurück zu den Millennials: Fast alle Umfragen mit Jugendlichen ergeben, dass ihnen Sicherheit sehr wichtig ist und sie gleichzeitig große Angst haben, sich festzulegen. Lieber treffen sie gar keine Entscheidung oder ziehen die Eltern zu Rate, die den Weg planieren sollen. Konflikte, Streit, Auseinandersetzung werden häufig als Bedrohung oder Angriff empfunden. Viele junge Befragte sagten mir: Ghosting ist eben bequem. Ich vermeide Stress. Will nicht angegriffen werden. Allerdings möchte ich selbst auf gar keinen Fall ge-ghostet werden. Ghosting sei der absolute „Beziehungs-Gau“!
Wenn Sie von einem Schulfach sprechen, dann müssten auch die Erwachsenen wieder die Schulbank drücken. Denn es „ghosten“ ja Menschen jeder Altersstufe! Und Konfliktfähigkeit lernt man zu allererst in der Familie!
Das zwischenmenschliche Agieren scheint also immer schwieriger zu werden. Obwohl wir alle wissen, dass wir ohne Beziehungen nicht leben können, weichen wir allem aus, was sie ausmacht: der Nähe, dem ehrlichen Austausch, man könnte auch sagen, der Intimität – damit meine ich: Man zeigt sich, wie man ist und erträgt menschliche Schwächen. Paarbeziehungen sind der wesentlichste Motor für unsere persönliche Entwicklung. Und wir brauchen tiefer gehende Beziehungen, um unsere Ängste zu regulieren.
Ich plädiere also grundsätzlich für einen verantwortungsvolleren Umgang. Weil der Abschied vom Abschied zerstörenden Folgen hat – für jeden Einzelnen und für das soziale Miteinander. Der Ge-Ghostete leidet unter seiner Auslöschung und der Ghost verliert die Fähigkeit, sich einer Konfrontation oder Auseinandersetzung zu stellen, er verliert Bindungsfähigkeit, Entwicklungsmöglichkeit und Reifung. Ghosting erscheint im ersten Moment als die leichteste Form des Verschwindens, entpuppt sich aber als die brutalste und nachhaltig unangenehmste Form des Schlussmachens.
Der amerikanische Psychiater Markus Horvath hat fünf Regeln für das Beenden eines Kontaktes aufgestellt:
- Sagen, dass man die Beziehung beenden will.
- Wenn es mehr als drei Dates gab, muss man das Ende begründen.
- Danke sagen für alles, was gut war.
- Sich entschuldigen für das, was man falsch gemacht hat.
- Zukunftsperspektive für beide ansprechen: Wieder Freiraum, neue Liebe.
“Ghosting – Vom spurlosen Verschwinden des Menschen im digitalen Zeitalter”
Autorin: Tina Soliman
Verlag: Klett-Cotta
ISBN: 978-3-608-96337-3
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