Dating wie Shopping – eine schreckliche Vorstellung. Für Betroffene kann Ghosting eine traumatische Erfahrung sein, die deren Fähigkeit und Bereitschaft zur Partnersuche beschädigt, möglicherweise sogar zerstört. Wie könnte man sich schützen? Geht das überhaupt?
Es ist eine Urangst des Menschen, wenn der Andere verschwindet.Der Neurologe und Psychologe Michael Linden von der Berliner Charité spricht von einer „Posttraumatischen Verbitterungsstörung“. Das ist eine reaktive psychische Störung in Folge des Erlebens von Ungerechtigkeit, Herabwürdigung oder Vertrauensbruch, gekennzeichnet durch nagende Verbitterungsgefühle, Aggressionsphantasien, schlechte Stimmung, Rückzug aus Sozialbeziehungen, Einengung des Lebens u.v.m.
Viele Verlassene erzählen mir, dass sie sich nicht mehr in Beziehungen trauen – aus Angst verletzt zu werden. Man könne sich auch nicht an das Verlassen-werden gewöhnen. Im Gegenteil: Je häufiger die Menschen verlassen werden, desto tiefer die Wunde. Solche Erfahrungen prägen sich ein, auch tief in unsere DNA. Unsere Gene verändern sich epigenetisch durch Stress.
Da die Verletzungen so tief gehen, versucht man, sich zu schützen. Und da beißt sich die Katze in den Schwanz: Man schützt sich durch Vermeidung – verlernt aber so Konfliktfähigkeit und beraubt sich der Möglichkeit zu lernen – zu reifen. Enge Beziehungen und Nähe machen verletzbar und werden nach Ghosting-Erfahrungen sogar gefürchtet. Ghosting ist in erster Linie eine Bewältigungsstrategie von Ängsten. Dabei geht es um die Angst vor Konfrontation, vor Kritik, vor Ablehnung. Ghosting ist also eine Konfliktvermeidungstaktik und führt langfristig zur Beziehungsvermeidung. Denn wie soll man sich schützen? Indem man sich nicht mehr in Beziehungen wagt.
Ghosting hat eher mit einer Beziehungsfähigkeit des Abbrechers zu tun. Woran erkenne ich das? Meist gab es schon zuvor Unzuverlässigkeiten in der Kommunikation, in der Art, wie der Kontakt wieder aufgenommen wurde, wie er zeitweilig eingefroren wurde. Sinnvoll erscheint mir, darauf zu achten, wie der Andere aus vorherigen Beziehungen gegangen ist. Geht der Ghost immer wieder auf diese Art, ist davon auszugehen, dass er nicht anders kann, als eine Beziehung immer auf dieselbe Art zu beenden. Das Leben mit einem Gespenst aber ist unmöglich!
Hilfreich ist auch, die Biografie des Anderen zu kennen. Wer aus einer Familie kommt, in der Schweigen als Konfliktlösungsmittel gebraucht wurde, wird, ob er will oder nicht, auf das bekannte Tool zurückgreifen. Solch ein Verhalten wird „vererbt“.Und man sollte zu Beginn einer Beziehung ganz genau hinhören – auch auf die eigene Intuition – denn meist hat der spätere Abbrecher schon früh kommuniziert, ob er etwa beziehungsfähig – oder gar manipulativ – ist.
Doch niemand muss ohnmächtig zurückbleiben, wenn er ge-ghostet wird. Er kann für sich selbst abschließen, also versuchen, die Trennung als Chance zu erleben, einen Partner zu finden, der sicherer ist und besser passt. Der Ghost hat sich ja mit seinem Verhalten aus der Riege der akzeptablen Partner verabschiedet.
Habe ich erst einmal verinnerlicht, dass mir durch die Trennung viel künftiges Leid in einer unglücklichen Beziehung erspart bleibt, wird der Abbruch leichter als Möglichkeit zu einem Aufbruch verstanden.
Und auch die „Geister“ würden sich selbst einen Gefallen tun, wenn sie genau hinsehen würden, warum sie immer wieder abbrechen und weiter ziehen. Verschwinden hat nun einmal viel mit Angst, also mit Enge-Gefühlen zu tun.
Vorgeblich neue Dating-Phänomene wie Ghosting, Benching oder Gaslightning: Warum treten sie nun so häufig auf?
Weil es so einfach ist! Dating-Plattformen erleichtern das „Löschen“ des Anderen. So spart man sich eine unangenehme Konfrontation, Rechtfertigung oder Kritik – und natürlich auch Zeit. Es ist bequem. Das Regal ist gut gefüllt, man greift zum nächsten Date. Die Möglichkeiten erscheinen ja schier unendlich. Also wischt man einfach weiter. Mir scheint, wir streicheln die Handy-Oberfläche mehr als die Haut eines Anderen. Die Partnervermittlungs- und Dating-Plattformen haben Ghosting, Benching oder Breadcrumbing u.v.m. in Beziehungen als Tool geradezu mitgeliefert.