Meine Frau wird zur Eso-Tante

Die Beziehung von Norbert und Stefanie steht auf der Kippe. Sie versucht mit Esoterik ihr Leben wieder in richtige Bahnen zu lenken, aber er kann damit nichts anfangen und versteht seine Frau nicht mehr

„Ich möchte mich ausprobieren“, erklärt sie. „Vielleicht war mein Weg immer zu gerade, Schule, Abi, Studium, Job. Ich habe nie etwas in Frage gestellt. Und jetzt brüte ich manchmal darüber, warum ich so viel gearbeitet habe, bis ich mich ausgebrannt gefühlt habe, bis ich keine Kraft mehr hatte, mich gegen meine Chefin zu wehren, bis ich zum Schatten meiner selbst geworden bin. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mir nie Raum und Zeit für eine gewisse Innenschau zugestanden habe, für die Entwicklung eines spirituellen Bewusstseins. Ich bin mittlerweile sicher, von daher kann viel Kraft und Energie kommen. Vielleicht war ich einfach zu weit weg von mir. Ich bin sehr gern Ärztin, ich will das unbedingt weitermachen und dafür brauche ich ein seelisches Polster, Halt, Selbstliebe, die Fähigkeit, mich abzugrenzen, ich kann das gar nicht exakt benennen. Ich kann es auch Norbert gegenüber nicht auf den Punkt bringen. Er muss keine Angst haben, dass ich mich total verändere. Ich habe ihn daraufhin angesprochen, ob er fürchtet, mich zu verlieren und habe ihm gesagt, dass meine Liebe zu ihm ungebrochen ist. Ich erwarte nicht, dass er meinen Weg mitgeht, ich wünsche mir einfach, dass er mich lässt und keine Witze darüber macht. Das kränkt mich sehr.“

Norbert: „Ich tue das nicht extra, um Stefanie zu verletzen. Es kommt einfach über mich, all das erscheint mir derart absurd. Und ich möchte mich wirklich bemühen, mich in dieser Sache zurückzuhalten, keine Witze zu reißen über Stefanies neues Hobby, ich weiß gar nicht, wie ich das anders nennen soll als „Hobby“. Dabei hört sich das irgendwie auch schon respektlos an. Respekt hat immer eine große Rolle in unserer Ehe gespielt.  Bis jetzt war ich allerdings nicht gefordert in dieser Hinsicht, wir haben es uns gegenseitig leicht gemacht, meine Frau und ich. Ich musste mich nie zum respektvollen Umgang ermahnen, das ergab sich von allein. Wir waren eben fast immer einer Meinung und wurden insofern nicht auf die Probe gestellt, was die Disziplin betrifft, in der Partnerschaft eine andere Meinung gelten zu lassen. Ist das aber hier lediglich eine Meinung? Geht es hier nicht um eine Art von Gehirnwäsche? Mich bringt diese Veränderung an Stefanie und in unserer Ehe völlig durcheinander. Ich gebe zu, dass ich Angst habe, dass Stefanie sich von mir distanziert. Erst gibt sie sich vielleicht selbst auf und verliert sich in diesem fürchterlichen Eso-Dschungel, dann werde ich ihr fremd, und am Ende steht unsere Ehe auf dem Spiel. Ich sehe da wirklich eine reale Bedrohung, jedenfalls auf lange Sicht. Noch ist Stefanie auf einer Ebene, wo ich ihr zwar häufig schon nicht mehr folgen kann, wo wir aber auch immer wieder einen gemeinsamen Punkt finden. Es ist sogar vorgekommen, dass wir über etwas besonders Skurriles gemeinsam herzhaft gelacht haben, da ging es um ein Ritual, das Stefanie nach der Anweisung der Schamanin vollziehen sollte, um sich von ihrer Vergangenheit zu befreien, von der Last, die ihr ihre Ahnen auferlegt haben, total albern, eine Art Geisterbeschwörung. Solange wir zusammen lachen können, ist unsere Beziehung in Ordnung, würde ich sagen. Trotzdem, wie weit geht das alles noch? Was ist, wenn Stefanie eines Tages nicht mehr mit mir lachen kann und will?

Unsere Freunde sind ebenfalls skeptisch, bis jetzt füllt die Esoterik nicht unsere gemeinsamen Abende, doch es kommt regelmäßig etwas aus diesem Bereich zur Sprache. Neulich meinte Stefanies beste Freundin Liv zu mir, Norbert, schau, Stefanie wird von Woche zu Woche stabiler, ist doch egal, wie sie das geschafft hat, der Zweck heiligt hier die Mittel. Bald hängt sie die Esoterik wieder an den Nagel, ich kenne doch unsere handfeste Stefanie. Liv hat recht, was den Zustand von Stefanie angeht, ich sehe auch, dass sie wieder selbstbewusster und fröhlicher wird, sie kann besser schlafen, ich bin glücklich darüber. Aber ich würde eben diese Verbesserung nicht auf den Einsatz der Schamanin zurückführen, sondern auf die Psychotherapie, die Stefanie macht und auf die Ruhe, die sie sich gönnt. Ich habe Angst vor der Zukunft, davor, dass diese Spinnereien uns nicht mehr loslassen.“

Stefanie sieht, dass Norbert sich abarbeitet an ihrer esoterischen Umtriebigkeit, dass er sich quält. Er macht sich Sorgen um sie, sie macht sich aber auch Sorgen um ihn. Um ihm zu beweisen, dass sie nicht in der Gefahr steht, in den Sumpf der Esoterik abzugleiten, sondern dass sie einfach mit Möglichkeiten der Selbstfindung und Selbstoptimierung experimentiert, dass sie etwas nachholt, was in ihrem Leben zu kurz gekommen ist, hat sie einen Termin bei einem „normalen“ Paartherapeuten gemacht.

Ihre Hoffnung: Dass dieser eine Brücke baut, dass er Norbert die Angst nimmt, dass die Beziehung den Bach runter geht, auch wenn Stefanie temporär auf einem „anderen Dampfer“ ist. Das geht alles wieder vorbei, beteuert Stefanie. Das sei Krisenmanagement.

Stefanie: „Schlimm wäre für uns, wenn der Paartherapeut auch denkt, dass meine Beschäftigung mit Esoterik gefährlich ist. Was machen wir dann? Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass ein Profi einen tieferen Keil zwischen uns treibt. Wir werden sehen. Ich bin voller Vertrauen in unsere Liebe, und das hat mit Esoterik nichts zu tun, sondern mit mir, mit meiner Persönlichkeit und mit der Persönlichkeit von Norbert, mit allem, was uns verbunden hat und für immer verbinden wird.“


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