Niemand sah, wie er wirklich war
Ich wurde immer unglücklicher, konnte kaum mehr in den Spiegel schauen, denn ich erkannte mich nicht wieder. In einer Art Blase lebte ich abgeschottet von der Realität. Ich benutzte das Treffen mit Freunden nur als Alibi, um mir selbst zu beweisen, dass ich ihn nicht brauchte. Aber ich belog mich selbst. Mein Lebensmittelpunkt hatte sich längst verlagert und mein gesamtes Denken kreiste um ihn. Wie ging es ihm? Wann kam er nach Hause? Ich glaubte, das wäre Liebe, aber ich fühlte, dass irgendetwas nicht stimmte. Allerdings konnte ich nicht klar bestimmen, was es war.
Ich fühlte mich nicht ernst genommen, fragte ihn ständig um Rat, als könne ich nicht für mich selbst entscheiden. Um nette Worte oder Komplimente begann ich zusehends mehr zu betteln, denn sie wurden immer rarer. Wie ein Hund klebte ich an ihm. Er wurde immer genervter und ich immer verletzter. War das Liebe? Ich war mir nicht sicher. Liebe muss wehtun, dachte ich und spürte die Angst in mir aufsteigen bei dem Gedanken, ihn zu verlieren. Meine Unselbstständigkeit ignorierte ich, genauso wie die Tatsache, dass ich in seinen Augen zusehendes zu einem lästigen Kind wurde.
War das wirklich Liebe?
„Ich habe die Verantwortung für dich übernommen.“ Dieser Satz leitete unsere Trennung ein. Ich hatte ihn nie darum gebeten, sondern im Gegenteil immer gehofft, dass er mich ermutigte, etwas allein zu schaffen. Stattdessen redete er mir ein, meine Tollpatschigkeit würde dazu führen, dass alles in einer Katastrophe endete. Nach der Trennung glaubte ich, nicht alleine lebensfähig zu sein. Es war, als habe man mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich rannte ihm nach und kämpfte um ihn, als wäre er die Luft, die ich zum Atmen brauchte. Immer wieder hatte ich den Zwang, mit ihm zu reden oder ihn um Rat zu fragen. Aber am Ende verlor ich nicht nur mich selbst, sondern auch meinen Ex.
Langsam, Schritt für Schritt begann ich, mein Leben neu zu ordnen. Sapere aude: »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!« Kants Leitspruch erschien mir plötzlich in einem ganz anderen Licht. Alles alleine zu bestreiten, fiel mir am Anfang unheimlich schwer. Es war vergleichbar mit dem Laufen lernen. Immer wieder bin ich hingefallen. Aber ich stand wieder auf, ging weiter und zwang mich, alleine zu verreisen. Es war keine weite Strecke, kein fremdes Land. Aber es war ein Stück Unabhängigkeit. Ich wurde immer sicherer im Alleine-Essen-Gehen, alleine Messen besuchen, Anträge ausfüllen und den Haushalt schaffen. Am Ende sogar darin, mir die Augenbrauen zu zupfen.
Emotionale Abhängigkeit ist keine Liebe
Mir wurde klar, dass emotionale Abhängigkeit keine Liebe ist. Es ging einzig und allein um die eigene Bedürfnisbefriedigung. Ich hatte erwartet, dass mein Ex mir etwas gab, was mir selbst schon lange fehlte: Selbstliebe. Dabei war dies meine Aufgabe. Ich begann, mein Bild von Liebe zu überdenken und mir wurde klar, Liebe lässt frei. Liebe lässt wachsen, hält dich nicht klein und akzeptiert dich so, wie du bist. Mir wurde klar, dass ich keinen Mann brauchte, um mir diese Liebe zu geben, sondern nur mich allein. Ich brauchte keinen Mann, um mich über Wasser zu halten oder um glücklich zu sein. Dieses Gefühl war unbeschreiblich. Mit jedem Tag gewann ich ein Stück von mir selbst zurück und verlor im Gegenzug ein Stück meiner Abhängigkeit.
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