Boris ist in einer Krise. Das lässt er an Eva aus. Eva sucht Erklärungen für seine Gewalt, keine Entschuldigungen. Und sie bleibt bei ihm. Warum? Ein Paar-Porträt von beziehungsweise-Autorin Birgit Ehrenberg
Eva wirkt nicht wie eine Frau, der irgendein Mann auf der Welt ein X für ein U vormachen kann. Sie flößt Männern Respekt ein. Eva ist groß und durchtrainiert, dabei sehr feminin, und elegant, sie tritt souverän auf. Eva ist unübersehbar, sie ist wirklich in keiner Weise ein „Mäuschen“. Eva weiß, was sie will, beruflich und privat. Beruflich will sie als Lektorin in einem Verlag top sein, privat will sie Boris.
Ein schwieriger Mann, immer schon gewesen, ein Alphatier, laut, leidenschaftlich, dominant, ein Querkopf, aber mit jeder Faser ihres Herzens Evas Traummann, dem sie stets Paroli bieten konnte. Mehr noch: Boris hat Eva regelrecht aus der Hand gefressen, wie es so schön heißt. Bei Eva wurde er zahm, ohne zum Softie zu mutieren. Bis der starke Mann vor einem Jahr seinen hoch dotierten Job in der Pharmaindustrie verlor. Seitdem ist Boris vor und mit Eva ungezähmt, er leidet wie ein Hund unter seiner Situation, er lässt das an Eva aus, sie ist sein Sündenbock. Boris macht sie zur schwachen Frau. Es ist schon mehrfach vorgekommen, dass er Eva im Streit geschlagen hat.
Was ist der Kern in einer Beziehung, was hält zusammen, was trennt?
„Die Hand ausgerutscht“ – so nennt man das wohl, wenn man es beschönigen will, dass in einer Beziehung geschlagen wird, wenn der Mann die Frau schlägt. Dieser Fall kommt immer noch viel häufiger vor als umgekehrt, dass die Frau den Mann schlägt“, sagt Eva fast spöttisch, als wolle sie sich mit diesen Worten von ihrem Schicksal distanzieren. „Ich gehe davon aus, dass Männer sich diese feige Formulierung mit dem Ausrutschen der Hand ausgedacht haben, ich vermeide diese Worte jedenfalls bewusst. Und Boris auch. Auf die verlogene Idee, Gewalt zu verniedlichen, würden wir nicht kommen, ich nicht und mein Mann nicht.
Boris ist nicht feige. Wir sind uns immer in den wesentlichen Punkten des Lebens einig gewesen, wir sind es noch. Dabei ist die Tatsache, dass Boris mich mehrfach geschlagen hat, natürlich ein Punkt über den man sich entzweit, wo einer die Beziehung beendet, ich in diesem Fall, ich müsste es tun, ich könnte es tun, unabhängig davon, wie sehr man sonst alles miteinander teilt, wie harmonisch die Beziehung war und vielleicht sogar im Kern noch ist. Aber was ist der Kern? Das ist die Frage, die mich im Innersten erschüttert und bewegt.
Ich kenne Boris 17 Jahre, wir sind 17 Jahre zusammen, und 16 Jahre waren wir total glücklich. Der Mann, der mich manchmal schlägt, das ist ein neuer Boris, einer, der etwas Schlimmes erlebt hat, etwas Traumatisches. Sein Beruf hat ihm unendlich viel bedeutet, er hat Angst, dass er nichts mehr findet, dass er arbeitslos bleibt. Er ist schließlich schon Anfang 50, zehn Jahre älter als ich. Boris hat sich über seine Arbeit definiert, über seinen Erfolg. Er hat auch andere Interessen, es ist nicht allein die Arbeit, die sein Leben bestimmt, aber es ist bei Boris so, dass er alles, was er tut, aus Leidenschaft tut. Er macht nichts halb. Das liebe ich an ihm, das war der Haupt-Grund, warum ich ihn geheiratet habe. Diese Entschiedenheit von ihm war und ist unwiderstehlich. Für mich ist er auch ohne Führungsposition unwiderstehlich und männlich, ein starker Mann.
Wenn wir uns etwas einschränken, was die Lebensführung angeht, könnten wir durchaus mit meinem Gehalt auskommen, wir haben nie verschwenderisch gelebt. Darum geht es Boris aber nicht in seinem Zustand. Es sind nicht Geldnöte, die ihn quälen. Seine Identität ist ihm weggerutscht, seine Zukunft. Er ist fast depressiv und oft aggressiv.
Eva will sich die Gewalt erklären, sie aber nicht entschuldigen
Wenn ich von Boris wissen möchte, wie er sich fühlt, erwidert er, er fühlt sich nutzlos, wertlos. Im Alltag ist er gereizt, seine Sicherungen brennen ihm regelmäßig wegen Kleinigkeiten durch. Und ich bin manchmal sein Ventil. All das ist keine Entschuldigung, es ist eine Erklärung. Ich weiß, dass Frauen immer eine Erklärung für Gewalt in der Beziehung finden und damit leider auch eine Entschuldigung. Ich will über niemanden etwas Negatives sagen, doch ich fürchte, das sind Frauen, die sich sowieso alles gefallen lassen. So eine Frau bin ich nicht. Ich bin vital und selbstbewusst. Boris und ich, wir sind in einer schlimmen Krise, er ist es, und ich muss es ausbaden, das ist eine Tragödie. Aber wir sind nicht der Prototyp eines Paars, wo er ein notorischer Schläger ist und sie die notorisch Geschlagene.“
Eva trägt den Kopf hoch nach diesem fast flammenden Plädoyer für ihre Beziehung, für die Integrität ihres Mannes – und für sich selbst.
Ist Eva wirklich anders als die anderen Frauen, die Gewalt ertragen?
Man glaubt ihr aufs Wort, dass sie nicht der Prototyp des weiblichen Opfers ist, trotzdem, es bleibt ein schaler Nachgeschmack. Ihr Mann schlägt sie, ist das nicht das Grauenhafteste, was in einer Beziehung geschehen kann? Sagen sie das nicht alle, die Frauen, die geschlagen werden: Bei meinem Mann ist es anders, er ist eigentlich ein Guter, er hat eine schwere Zeit gerade, er bereut es zutiefst, wenn er mir wehgetan hat?
Täuscht Eva sich, sitzt sie nicht entgegen ihrer Sicht auf die Dinge mit all den anderen Frauen in einem Boot, die geschlagen werden und in der Beziehung bleiben? Kann Gewalt überhaupt eine Krise sein? Ist Gewalt nicht immer das Ende? Boris hat Eva schon mehrfach aufgefordert, ihn zu verlassen, seine Scham ist groß.
Boris will die Verantwortung für sein Tun tragen
Er sagt: „Ich schaffe es nicht, zu gehen. Aber Eva, sie soll ihre Beine in die Hand nehmen und das Weite suchen. Ich bin ihrer nicht wert, und das soll jetzt nicht klingen, als sei ich ein Weichei, das über sich jammert, obwohl es eine schreckliche Last für sein Gegenüber ist. Täter, die jammern, die sind widerlich. Ich trage die Verantwortung für mein Tun, ich möchte sie tragen. Und ich möchte mich ändern, ich will, dass es aufhört, dass ich etwas tue, was mir fremd ist, was nicht zu mir gehört.
Ich empfinde mein Schlagen wie ein Geschwür, das aufbricht, es ist eklig, ich ekle mich vor mir selbst. Vielleicht wäre es gut, wenn Eva wenigstens zeitweise ohne mich leben würde. Ich habe eine Therapie angefangen, das war das Erste, was ich getan habe, ich habe mir Hilfe gesucht, ich brauche Hilfe. Ich will wieder der Alte werden.