Es geht ihr schlecht, aber sie will nicht zum Arzt gehen

Die schlimmste Erfahrung, die Thies je in einer Beziehung gemacht hat, war die Ehe mit einer Frau, die chronisch schlecht gelaunt war. Aus diesem Grund wurde die Ehe nach knapp zwei Jahren wieder geschieden.

Tatsächlich tritt in den nächsten zwei Wochen eine Besserung ein

Das Joggen bekommt Gudrun. Sie ist ausgeglichener, hat mehr Appetit, schläft besser, lacht wieder. Sie hat sogar Lust auf Sex. Diese Lust war ihr auch vergangen. Gudrun reißt Thies wieder mit, ihm fällt ein Stein vom Herzen. Er hat sich geirrt, denkt er. Die Bewegung an der frischen Luft hat ihr gefehlt. Das war eine Phase, sie ist vorbei. Doch nach weiteren zwei Wochen ist Gudrun erneut an dem Punkt, an dem sie war. Und es ist noch schlimmer geworden. Sie geht nicht mehr laufen, verlässt das Haus kaum noch. Der Appetit verschwindet ganz und gar. Nachts liegt sie neben ihm und starrt an die Decke. An körperliche Nähe ist nicht zu denken. Thies ist verzweifelt. Er bittet seine Schwester, zu ihm zu kommen und sich Gudrun anzusehen, ohne ihr zu sagen, dass der Besuch einer psychologischen Begutachtung dient. 

Thies sagt: „Ich hatte ein extrem schlechtes Gewissen Gudrun gegenüber, dass ich sie gewissermaßen vorführe, aber ich sah keinen Ausweg mehr. Ich wollte meiner Liebsten helfen. Und damit auch mir, unserer Beziehung. Nachdem Sabine mit eigenen Augen gesehen hat, in welch desolatem Zustand Gudrun sich befindet, konnte sie meine Sorge nachvollziehen. Sie meinte, dass es sich nach ihrer Einschätzung nicht um eine normale Verstimmung handele. Nein, das wirke auf sie wie eine echte Depression. Und dass Gudrun das leugnet, das könne Teil der Krankheit sein. Das sei ein bekanntes Phänomen, dass an einer Depression erkrankte Menschen die Krankheit leugnen.“ 

Nachdem Sabine gegangen ist, ist Thies am Boden zerstört

Wie soll das weitergehen? Wer gibt ihm sein Leben zurück? Wie soll er an Gudrun rankommen, wie kann er sie erreichen? Ihr klar zu machen, dass Handlungsbedarf besteht, dass sie zum Arzt muss, das ist die einzige Chance für sie, wieder aus diesem Tief herauszukommen. Die einzige Chance für die Beziehung. Er sitzt in der Küche, legt den Kopf auf den Tisch und beginnt zu weinen. Er merkt nicht, wie Gudrun die Küche betritt. 

„Als ich irgendwann den Kopf erhoben habe, sah ich Gudrun. Sie stand im Türrahmen, sah mich an, stand da im Schlafanzug, die Haare strähnig, blass. Sie stand da und schaute mich an. Ich sah, dass sie in diesem Moment begriff, was das alles mit mir macht. Sie stand quasi neben sich und war dadurch bei mir. Endlich einmal wieder bei mir, mit mir. Ich stand auf, wir umarmten uns still. Ich wusste, dass bei ihr etwas geschehen ist. In ihrem Inneren. Am nächsten Morgen hat sie beim Arzt angerufen und einen Termin vereinbart. Er hat ihr ein Antidepressivum verschrieben, das nimmt sie jetzt ein. Es dauert, bis es seine endgültige Wirkung entfaltet hat, aber Gudrun ist schon nach 10 Tagen stabiler, zuversichtlicher. Sie läuft zwar nicht, aber sie geht jeden Tag spazieren. Wir gehen zusammen raus, wir reden viel.

Gudrun kann nicht mehr nachvollziehen, warum sie sich so sehr dagegen gesperrt hat, zum Arzt zu gehen. Sie ist dankbar, dass es ihr jeden Tag besser geht, dass wir unser Leben wieder genießen können, trotz Homeoffice und Kontaktbeschränkungen. Ich bin froh, dass ich nicht gleich die Flinte ins Korn geworfen habe, als es losging mit ihrer Schwermut. Wir träumen davon, im Sommer nach Mallorca zu fliegen. Und wenn wir davon träumen, dann ist Gudrun in diesen Augenblicken voller Elan. Ihre Augen blitzen, sie reißt mich mit. Ich weiß, dass sie sich wieder ganz in die Gudrun verwandeln wird, in die ich mich verliebt habe.“ 

Hinweis der Redaktion: 
Eine Depression ist eine schwerwiegende Erkrankung, die fachärztlich und psychotherapeutisch behandelt werden muss. Gleichzeitig ist für die Partner eine:r an Depression erkrankten Person zum eigenen Schutz eine psychotherapeutische Begleitung für Angehörige empfehlenswert. Wer an sich oder seine:r Partner:in die typischen Hauptsymptome einer Depression (Verlust von Antrieb, Interessen und Gefühlen) oder einige der zahlreichen Nebensymptome (Schlafstörungen, Libidoverlust, Grübeln, Konzentrationsstörungen uva.) erkennt, sollte zeitnah den Kontakt zum Hausarzt oder einen Facharzt suchen, da unbehandelte Depressionen chronisch und bedrohlich werden können. 
 
Das Info-Telefon Depression der Stiftung Deutsche Depression Hilfe ist unter der Rufnummer 0800 3344533 bundesweit zu erreichen. 

Das bundesweite Info-Telefon Depression soll Betroffenen und Angehörigen den Weg zu Anlaufstellen im Versorgungssystem weisen. Dies stellt keinen Ersatz für eine Behandlung durch einen Arzt oder Psychotherapeuten dar. In akuten Krisen sind Ansprechpartner der Arzt, die nächste psychiatrische Klinik oder der Notarzt unter der Telefonnummer 112.  


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