Mit dem Autorenfoto auf meinem ersten Buch war ich schon immer unzufrieden, aber nicht aus den üblichen Gründen. Denn dieses Foto – auf dem ich, anders als auf den meisten, mal nicht wie ein Ewok aussehe – verspricht eigentlich ein wenig zu viel. Meine Freunde und Familie versicherten mir aber, es sei ein ehrliches Bild.
Dennoch hatte ich auf Veranstaltungen viele Monate lang Angst, es könnte mir, sobald die Leute merkten, dass mein reales Ich dem Plakat vor der Tür nicht gerecht wurde, eine spürbare Enttäuschung aus dem Publikum entgegenschlagen. Aber alles war okay – und falls es doch passiert war, hatten die Leute ihr Kichern erfolgreich unterdrückt. Ich fühlte mich bestärkt – vielleicht war ich ja tatsächlich attraktiv –, bis zu jenem verhassten Abend Mitte Juni in einem kleinen Veranstaltungsraum in Midtown Manhattan.
Vor der Lesung lungerte im hinteren Bereich des Raums eine Frau am Büchertisch herum. Sie hielt mein Buch in der Hand und blätterte interessiert darin herum. Ganz ungezwungen fragte sie mich, wen ich mir heute Abend anhören wolle.
»Ich lese heute Abend«, erklärte ich ihr.
»Aus welchem Buch?«, fragte sie.
Ich klärte sie darüber auf, dass sie es gerade in der Hand hielt.
Sie drehte das Buch um und bewunderte das Foto. »Oh, das sind Sie?« In ihrer Frage schwang eine gewisse Ungläubigkeit mit.
»Ja«, sagte ich.
Sie lachte und zwinkerte mir wissend zu. »Von mir gibt es auch ein paar so vorteilhafte Bilder.«
Anhand der aktuell verfügbaren Beweise – vermeintliche Doppelgängerinnen, launische Fotos und unzuverlässige Spiegelbilder, die mich in Schaufensterscheiben durch die Stadt verfolgen – kann ich im Moment zu meinem Äußeren also nur so viel sagen: Ich habe braune Haare, einen Mund und zwei Ohren. Warum ist es so schwierig, einen unverfälschten Eindruck von unserem eigenen Aussehen zu bekommen? Ich stellte mir diese Frage schon seit Jahren und wollte endlich eine Antwort. Gibt es ein wahrhaftiges Abbild des eigenen Ichs und wenn ja, können wir es sehen?
Zunächst ging ich davon aus, die widersprüchlichen Eindrücke von meinem Aussehen seien allein dem Medium geschuldet, durch das ich mich betrachtete. Denn es passierte da etwas sehr Merkwürdiges: Der Wechsel von meinem Spiegelbild zu einem Foto machte mich hässlicher. Kameras, diese hinterhältigen Mistdinger, haben mich schon immer falsch dargestellt. Um besser zu verstehen, was da vor sich ging, sprach ich mit Pamela Rutledge, der Direktorin des Forschungszentrums für Medienpsychologie. Aber die sagte mir nur, was die meisten von uns ohnehin schon wissen: Der Spiegel zeigt uns ein Trugbild. Er zeigt uns seitenverkehrt. Da unser Gesicht sehr selten absolut symmetrisch ist – das ist nur bei wenigen Supermodels der Fall –, sind die meisten von uns leicht irritiert, wenn sie Fotos von sich sehen. Denn eine Nase, die sich im Spiegel ein wenig nach rechts neigt, neigt sich auf einem Foto nach links.
»Das erscheint uns irgendwie falsch und deshalb merkwürdig «, sagte Rutledge. Viele von uns bevorzugten ihr Spiegelbild aus dem einfachen Grund, weil sie es öfter sähen. »Uns gefällt, was uns vertraut ist«, sagte sie.
Der Satz »Uns gefällt, was uns vertraut ist« klingt wie ein aus dem Ärmel geschüttelter Allgemeinplatz, ist aber tatsächlich wissenschaftlich erwiesen. Für bestimmte Dinge – Geräusche, Worte oder Gemälde – entwickeln wir nur deshalb eine Vorliebe, weil wir uns daran gewöhnt haben. Man spricht hier vom Mere-Exposure-Effekt, der in den Sechzigerjahren von dem Psychologen Robert Zajonc an der Stanford University nachgewiesen wurde. (Endlich eine schlüssige Erklärung für die Schulterpostermanie in den Achtzigern: Es genügt, mit etwas wiederholt konfrontiert zu werden, um es irgendwann als ansprechenden Modetrend wahrzunehmen – selbst wenn es absolut scheußlich ist.)
Ein weiteres Problem ist, dass wir uns vor dem Spiegel alle unbewusst in eine vorteilhafte Position bringen. Wir verstecken unser Doppelkinn, ziehen den Bauch ein, schieben die Hüfte vor. Aber ein ehrliches Foto genügt, um das Ganze zu enttarnen und sich mit anderen Augen zu sehen. Ich dachte immer, meine Arme wären schlank – grazil wie Hockeyschläger –, bis mich eine Kamera dann eines Tages in einem ungewohnten Winkel erwischte und ein Bild von mir machte, das mir über Monate nächtliche Schweißausbrüche bescherte.
Aber genau wie Spiegel zeigen auch Fotos nicht die ganze Wahrheit. Je nach Licht, Fokus und Objektivgröße, können sie uns auf unterschiedlichste Weise subtil verzerren. »Und welches der beiden Medien zeigt eher die Wahrheit?«, wollte ich von Rutledge wissen.
»Wahrheit ist ein sehr subjektiver Begriff«, meinte sie. »Ihnen persönlich wird Ihr Spiegelbild lieber sein, wohingegen ein Foto eher zeigt, wie andere Leute Sie sehen.«
»Verdammt!«, sagte ich.“
Mara Altman, „Ich bin wunderschön, mein Körper kann es nur nicht so zeigen“ © Kailash Verlag, Juni 2019
Mara Altman
Ich bin wunderschön, mein Körper kann es nur nicht so zeigen
ISBN: 978-3-424-63167-8
Verlag: Kailash Verlag