Bin ich hochsensibel? Antworten von Expertin Antje Sabine Naegeli

Sind Sie unsicher, ob Sie hochsensibel sind? Sie versuchen, mit Ihrer Hochsensibilität zu leben? Antje Sabine Naegeli gibt in diesem Interview Antworten 

Eric Hegmann: Ist Hochsensibilität eine Krankheit?

Antje Sabine Naegeli: Hochsensibilität ist keine Krankheit. Sie bezeichnet ein Wesensmerkmal, das durch eine besondere Feinheit gekennzeichnet ist. Um festzustellen, ob eine Hochsensibilität vorliegt, gilt es, sich mit den entsprechenden Merkmalen auseinander zu setzen. Je mehr Merkmale zutreffen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Hochsensibilität vorliegt. Ich kann in der gebotenen Kürze nur einige wenige Merkmale aufzählen: Emotionale Intensität (das bedeutet, Erlebtes klingt lange nach und dringt sehr in die Tiefe), ausgeprägte Empathie, Kreativität, große Empfindsamkeit bei sinnlichen Eindrücken, Neigung zu nervlicher Überreizung bei zu vielen Eindrücken, eine ausgeprägte Gewissenhaftigkeit.

Wie anders fühlen sich hochsensible Menschen? Was empfinden sie unterschiedlich?

Hochsensible Menschen haben nicht selten das Gefühl, nicht in diese Welt zu passen, weil sie spüren, dass sie anders oder einfach nur viel intensiver empfinden und reagieren als der Durchschnitt der Menschen. Sie benötigen mehr Rückzug, um sich von Erlebtem zu erholen. Etwas, das andere Menschen nur streift, geht ihnen vielfach in der Tiefe nach. Wo andere oberflächlich mit etwas umgehen, lassen sie es tief ins Ich hinein, sind nachdenklicher und mehr betroffen. Eine zwischenmenschliche Missstimmung etwa kann sie nachhaltig verstören und viele Fragen in ihnen auslösen. Hochsensible Menschen kommen sehr viel schneller an die Grenze ihrer Belastbarkeit als der Durchschnittsmensch.

Was löst es aus, wenn man einem hochsensiblen Menschen sagt: “Nun stell dich nicht so an”? Oder: “Nimm dich doch einmal zusammen”?

Appelle sind destruktiv. Es ist dem Hochsensiblen nicht möglich, durch Willensanstrengung anders zu empfinden und zu reagieren. Allenfalls kann er sich hinter einer Fassade verstecken. Hinter seine Bedingungen kann er nicht zurück. Abgesehen davon, dass es eine Herabwürdigung seiner Person bedeutet, ihn in seiner Wesensart in Frage zu stellen, bestärken solche Bemerkungen seine mögliche Isolation und vorhandene Selbstzweifel, weil sie ihm die Botschaft geben, dass er “nicht richtig” sei.


Weitere interessante Beiträge