Wird ein Problem gelöst, werden sofort neue identifiziert – das konnten amerikanische Psychologen jüngst mithilfe verschiedener Experimente zeigen. Was dies für Beziehungsprobleme bedeutet, möchte sich beziehungsweise-Autorin Kirsten Schwieger lieber gar nicht so detailliert ausmalen
Kann der Mensch ohne Probleme vielleicht gar nicht leben? Oder zumindest nicht glücklich sein? Die Ergebnisse einer jüngst veröffentlichten Studie legen das nahe. So haben Psychologen der Harvard University in mehreren Experimenten herausgefunden, dass Menschen nach gelösten Problemen deren Definition reflexartig ausweiten. Psychologe Daniel Gilbert drückt das so aus: „Wenn Probleme seltener werden, betrachten wir automatisch mehr Umstände als problematisch.“ Die Forscher bezeichnen dieses unbewusste Verhalten als eine Eigenart der persönlichen Wahrnehmung.
Hurra! Ein Problem!
Auf gesellschaftlicher Ebene betrachtet erklärt dieses Phänomen, warum viele Menschen das Gefühl haben, dass es mit ihrer Gesellschaft nur bergab geht – trotz des großen Fortschritts in puncto Armut, Analphabetismus oder Kindersterblichkeit. Süddeutsche-Autor Sebastian Herrmann hat das in einem kürzlich erschienenen Artikel herausgearbeitet und folgendermaßen zusammengefasst: „Die Ergebnisse legen nahe, dass wir immer kritischer auf den Zustand der Welt blicken, je stärker sich dieser zum Positiven entwickelt. In sehr vielen Bereichen haben wir so große Fortschritte erzielt, dass sich Sorgen, Ärger und Wut nun an Problemchen entfachen, die zuvor quasi unterhalb der Wahrnehmungsschwelle lagen.“
Das Gesundheits-Paradoxon
Für den Gesundheitsbereich hat der Psychiater Arthur Barsky dieses Phänomen bereits 1988 analysiert und es das „Gesundheits-Paradoxon“ genannt. Demnach fühlen sich die Menschen umso kränker, je gesünder die Gesellschaft ist, in der sie leben. Sie werden in eine Spirale von Sorgen getrieben, weil sich ihre Erwartungen an die eigene Gesundheit in unrealistischem Maße verschoben haben.
Unendliche Beziehungsprobleme?
Und was würde es bedeuten, wenn sich dieser Wahrnehmungsfehler auch auf die Ebene von Beziehungen übertragen ließe? Dass manche Menschen ziemlich unrealistische Erwartungen an einen Traumpartner haben, würde sicherlich niemand leugnen. Was wäre dann die Konsequenz dieser Wahrnehmungsstörung? Dass wir nach überstandener Beziehungskrise unsere Partner wegen unzulänglich ausgedrückter Zahnpastatuben dissen? Oder nach beendeter Affäre beanstanden, dass der Partner langweiligen Fernsehabenden frönt?