Das Elternteil, zu welchem wir als Kind die engste Beziehung hatten, spiegelt sich oft in unseren späteren Partnern wider. Wir übernehmen dessen Glaubenssätze ohne die Möglichkeit, eigene zu entwickeln. Ob Sie das jetzt narzisstischen Missbrauch nennen, Übertragung oder transgenerationale Weitergabe von Traumata, bleibt Ihnen überlassen.
Dennoch ist es so, dass dort, wo neben der Elternschaft Partnerschaft fehlt, oft ein Zuviel an Mutter und ein Zuviel an Vater entsteht. Die Eltern versuchen dann, entsprechend der zu ihren eigenen Eltern gemachten Erfahrungen, die fehlende emotionale Nähe zu ihrem Partner in der Nähe zu den Kindern zu kompensieren. Das heißt dann am Ende, dass das Kind dazu da ist, die Leere des jeweiligen Elternteils zu füllen. Dieses Zuviel an Mutter oder Vater, also Zuviel an „erster Frau oder Mann“-Erfahrung, wirkt sich dann leider und zumeist auch unbewusst auf die spätere Beziehungsgestaltung und Partnerschaft aus.
Das, was die Eltern einem vorlebten, lebt man dann später genauso aus, entweder als Wiederholung des jeweiligen Musters, oder aber auch nicht selten als Gegenteil. Freud prägte dieses Phänomen, indem er den Wiederholungszwang beschrieb. Die Folge ist, dass wir uns dann oft unbewusst Partner suchen, bei denen eher Mangel herrscht. Eine Frau, die einen Vater erlebte, der emotional nicht verfügbar war, wird sich also eher einen Mann suchen, der sich innerhalb einer Beziehung zurückzieht, statt die permanente Nähe zu suchen. Auffallend oft wiederholen sich derlei Konstellationen bei den Nachkommen kriegstraumatisierter Eltern, in der sich die Mutter um Kinder und Haushalt kümmerte und der Vater oft unterwegs war oder im Krieg.
Eine Frau, die solche Familienverhältnisse als Kind erlebte, wird sich also einen Partner suchen, der sie an ihren Vater erinnert und dann die Rolle der eigenen Mutter in ihrer Beziehung übernehmen, das heißt besonders fürsorglich, fast schon aufopfernd bis zur Dominanz, was ihren Partner folglich nur zu weiterem Rückzug führen wird. Was zuviel ist, ist einfach zuviel. Und so entsteht dann am Ende beidseitig das Gefühl, der eigene Partner wäre an einem nicht mehr interessiert, sondern nur an der Erfüllung der eigenen Bedürfnisse. Der Vorwurf „Du denkst nur noch an Dich“ ist fast schon vorprogrammiert. Die Frau sucht Nähe. Der Mann sucht Abstand. Dass sich nur die Muster und Glaubenssätze der eigenen Eltern in einem selbst wiederholen, wird dagegen oft nicht wahrgenommen, da deren Übernahme oft unbewusst und automatisch geschieht. Am Ende fühlt sich keiner mehr in seiner Beziehung zuhause. Und sobald sich jemand fremd fühlt in seinem „zu Hause“, ist der Seitensprung auch nicht mehr weit entfernt.
Meine Eltern sind seit mittlerweile 30 Jahren verheiratet. Obwohl meine Mutter in zweiter Ehe lebt, ich also folglich auch ein Scheidungskind bin, sie diesen Umstand mir gegenüber aber stets offen und ehrlich erklärt hat, war diese Tatsache kein Grund für meine mangelnde Selbstliebe. Ich erlebte ein Zuviel an Mutter, ein Zuwenig an Vater, aber trotzdem eine auf gegenseitigem Verständnis basierende Beziehung zwischen meinen Eltern. In dieser Hinsicht haben sich meine Eltern vorbildlich verhalten, auch wenn ich einen kleinen Wiederholungszwang in der Beziehung zwischen meiner jüngeren Schwester und ihrem Freund beobachte. Meine Mutter ist Erzieherin, meine Schwester arbeitet als Lehrerin. Ihr Freund ist Architekt, ihr Vater, mein Stiefvater ist Ingenieur. Wenn man die Berufe als Maßstab nimmt, lässt sich folglich eine Wiederholung feststellen, und was ich bislang kennengelernt habe, ist, dass meine Schwester mit ihrem Freund in den sechs Jahren, in denen sie zusammen sind, einen ähnlich harmonischen und liebevollen Umgang pflegte.
Warum ich das nicht haben konnte, habe ich, glaube ich, in meinem ersten Buch recht deutlich erklärt. Ich durfte nie der sein, der ich bin, weil meine Mutter meinte, es stets besser zu wissen und dies dann auch umsetzte – immer mit dem Ziel, mich einerseits zu schützen, andererseits aber auch zu einem mündigen Erwachsenen heranreifen zu lassen. Ich weiß, dass sie es nur gut meinte. Ich weiß auch, dass sie mich nicht traumatisieren oder negativ prägen wollte. Nachdem ich dies erkannt habe, fiel es mir leichter, meine Mutter zu verstehen und ihr lettzen Endes zu verzeihen.
Mama, ich hab dich lieb!
Leonard Anders
Ein Narzisst packt aus
ISBN: ISBN 978-3-8288-4043-0
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag