Als er dünn wurde, fing ich an, an unserer Beziehung zu zweifeln

Stefan kündigte Anna die Weltanschauung

Anna weiß nicht mehr genau, wann das angefangen hat, dass Stefan aus dieser Lebensart, aus diesem Dolce Vita, ausgestiegen ist, dass er Anna quasi die Weltanschauung gekündigt hat. Irgendwann stand morgens am Wochenende eben das Müsli auf dem Tisch, das rasch verspeist wurde, mehr wie eine Pflicht als eine Freude und ein Genuss. Anschließend zog Stefan sich Sportsachen an und verschwand für Stunden.

„Die Gemütlichkeit war hin“, erzählt Anna. „Stefan hat sich mir gegenüber auch nicht groß erklärt, er habe einfach die Nase voll von seinen Kilos, hat er behauptet. Er stellte mich vor vollendete Tatsachen, fragte mich nicht, wie ich das finde, dass er von jetzt auf gleich alles umkrempelt. Wieder und wieder hat er mich gebeten, ihn zu begleiten, mit ihm zu laufen, aber ich mag das überhaupt nicht. Das ist mir nicht kontemplativ genug. Wenn ich Menschen joggen sehe, denke ich, die sind auf der Flucht.

Wir haben immer lange Spaziergänge zusammen gemacht, Stefan und ich, Hand in Hand und ins Gespräch versunken. Die reichten mir als Bewegung und als gemeinsame Aktivität. Stefan wollte mich nicht nur dazu bringen, mit ihm zu joggen, er mäkelte plötzlich auch an meiner Ernährung herum. Alles, was wir früher mochten, war auf einmal verkehrt. Wenn ich mir Butter auf mein Brot geschmiert habe, fing Stefan an, mit verkniffenem Mund zu missionieren: „Anna, weißt Du eigentlich, wie gefährlich Butter ist?“ Mir ist der Bissen im Halse steckengeblieben. Stefan hielt mir Vorträge, er schwadronierte. Er legte mir Diät-Ratgeber auf den Tisch. Ich erkannte meinen Mann nicht wieder. Er war mir fremd. Sein Anderssein stieß mich ab.

Liebe: Bei sich und für sich sein und mit dem anderen verbunden

Ich habe noch nie verstanden, warum manche Menschen glauben, die Liebe funktioniert über das Prinzip „Gegensätze ziehen sich an“. Als ich Stefan kennenlernte, bin ich in Aha-Erlebnissen aufgegangen. Ständig sagte einer von uns, Mensch, bei mir ist das genauso. Wir tickten beide gleich, Stefan und ich. Das war meine Seligkeit, das war meine Vorstellung von Liebe: Ich konnte sein, wie ich bin. Und mein Partner auch. Wir sind für uns, und wir sind verbunden. Und diese Sache mit dem Essen und mit dem Kochen, das war für uns ein Kernpunkt, fast eine Philosophie, jedenfalls 17 Jahre lang, wir haben vor 17 Jahren geheiratet.

Ich habe vor Stefan viele Männer getroffen, die mich anziehend fanden, die in mich verliebt waren oder im Begriff, sich in mich zu verlieben. Allerdings, das haben sie mir zu verstehen gegeben, wäre es ihnen lieber, ich würde etwas abspecken. Unglaublich. Das sind Männer gewesen, die sich selbst total über Figur und Fitness definiert haben, für die Essen keine große Rolle spielte, wenn, dann gesundes Essen, das heißt magere Kost. Ich habe von einem Mann geträumt, mit dem ich eine Art italienisches Leben führen kann, so wie ich mir das vorstelle: ein sinnliches Leben, schwelgen, ab und zu übermäßig sein, sich selbst vergessen, im Hier und Jetzt leben.


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