Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie jemanden, der sich mit diesen Dingen von Berufs wegen beschäftigt. Ich habe aus gegebenem Anlass ein paar Recherchen angestellt. Es ist schwer zu sagen, was normal ist. Bekanntlich wird bei keinem Thema so viel gelogen wie beim Fahrtweg zur Arbeit und beim Sex. Aber nach allem, was ich gelesen habe, scheint ein Mal die Woche ein guter Richtwert zu sein. Auch weniger ist kein Grund zur Sorge, sofern sich regelmäßig etwas tut.
Es gibt Paare, die sich auch noch nach zehn Jahren an die Wäsche gehen, als hätten sie sich erst gestern kennengelernt. Sie sind darauf meist wahnsinnig stolz, was dazu führt, dass sie Mühe haben, mit der guten Nachricht hinterm Berg zu halten. Ich habe schon Schwierigkeiten, mir Menschen, mit denen ich befreundet bin, beim Sex vorzustellen. Ich will auch nichts über die Sexualpraktiken wissen, die sie bevorzugen. Was sollte also die angemessene Reaktion auf das Bekenntnis zum Dauersex sein: »Gratulation, ich wünschte, wir könnten das Gleiche von uns sagen«?
Wenn man den Beziehungsexperten glauben darf, ist zu häufiger Sex in der Ehe ebenfalls ein Alarmzeichen. In einer länger währenden Ehe deuten weniger Intimkontakte darauf hin, dass sich beide Partner sicher fühlen und keiner befürchten muss, dass einer die Beziehung bald verlassen wird. Das habe ich in meiner Morgenzeitung über eine Fachtagung in München zu »Bindungen und Sexualität« gelesen. Die Hamburger Psychotherapeutin Kirsten von Sydow wird in dem Artikel mit dem Satz zitiert: »Dauerhafte Sicherheit und häufiger guter Sex schließen sich aus.« Wo die Partner hingegen ständig miteinander ins Bett wollen, kann das ein Hinweis darauf sein, dass Konflikte vorliegen und es nicht klar ist, wie lange die Beziehung noch hält. In der Regelmäßigkeit beim Sex liegt das Geheimnis einer stabilen Beziehung, nicht in der Frequenz.
Wenn Ihnen also beim nächsten Mal ein befreundetes Paar erzählen will, wie irrsinnig scharf man nach wie vor aufeinander sei, denken Sie an Frau von Sydow: Mehr ist in diesem Fall nicht mehr. Wenn die zwei Pech haben, ist es sogar schon bald so gut wie nichts.