Ich habe irgendwann die Reißleine gezogen und die Therapie angefangen, denn ich versank mehr und mehr in mir selbst, ich hatte wenig Aufmerksamkeit für meine Söhne, für Jan erst recht nicht. Ich tat nur so, innerlich war ich wie tot. Schon um meiner Kinder willen wollte ich da raus. Und ich habe mir nichts vorgemacht: Jan traf keine Schuld, vielleicht wollte ich Rosa auch nicht, hätte ich es mir sonst so leicht gemacht, hätte ich nicht für sie gekämpft? Für ihr Leben? Wenn ich sie wirklich gewollt hätte? Vielleicht schob ich innerlich Jan den schwarzen Peter zu, und in Wahrheit war ich schuldig. Ich wollte mir erklären, was eigentlich geschehen war, mit mir, mit unserer Ehe.
„Ich hoffe, dass ich Rosa eines Tages loslassen kann“
Judith ist seit einigen Monaten mit jeder Faser ihres Herzens dabei, mit sich ins Reine zu kommen, die Therapie hilft ihr sehr, die Trauer aufzuarbeiten. Sie hat erkannt, dass sie sich in eine Opferrolle begeben und ihren Mann als Täter gesehen hat, der ihrem Kind und ihr etwas angetan hat. „Ich habe mir selbst einfach den freien Willen abgesprochen“, sagt Judith. Jan ist geduldig und liebevoll mit ihr, er lässt sie sein, wie sie ist, oft traurig, immer öfter jedoch wieder fröhlich und gelöst.
Judith: „Ich hoffe, dass ich Rosa eines Tages loslassen kann, dass ich anerkenne, dass Jan und ich beide die Verantwortung tragen, dass es Rosa nicht gibt. Von Schuld will ich nicht mehr reden, das macht einen fertig, dieses Wort „Schuld“. Es gibt kein Leben danach, wenn man schuld am Tod seines Kindes ist. Wir, Jan und ich, wir haben eine Entscheidung getroffen, für unser Leben, für unsere Zukunft. Wir haben uns gegen ein drittes Kind entschieden. Und unser Leben soll und darf trotzdem gut sein, nein, nicht trotzdem, es ist ohne Einschränkung gut.“