Sex in der Schwangerschaft – machen oder lassen?

Wie wichtig ist eine erfüllte Sexualität in der Schwangerschaft? Haben Schwangere und werdende Väter überhaupt Lust? Spürt das Baby etwas davon? Löst Sex Wehen aus? Diese Fragen stellen sich werdende Eltern häufig. In diesem Beitrag von ElternLeben.de berichtet eine zweifache Mutter von ihren Erfahrungen. Außerdem gibt die Expertin Babett Ramsauer Auskunft zum Thema

In der ersten Schwangerschaft hatte ich immer Lust. Das muss in der Phase gewesen sein, in der man vor Energie strotzt. Mein Mann hingegen kam mit Ausreden wie „keine Lust“, „Kopfweh“. Und dann fragte er plötzlich: „Bist du sicher, dass das gut für dich ist?”

Mein Mann machte sich mehr Sorgen als ich

Ich war deutlich irritiert und auch gekränkt. Ich fühlte mich in all meiner blühenden weiblichen Attraktivität schlicht ignoriert.

Die Zeit verging, das Ungeborene und der Bauch wuchsen. Irgendwann rückte er mit seinen Bedenken heraus: „Meinst du nicht, dass wir dem Baby dadurch schaden könnten? Tut dir das nicht weh? Immerhin ist dein Bauch schon ganz schön groß.“ „Natürlich können wir Sex haben!“ antwortete ich erwartungsvoll. „Der Arzt sagte, dass das durchaus geht. Und denk doch an die vielen Glückshormone, die dabei ausgeschüttet werden. Das merkt das Ungeborene.“ Gedacht habe ich jedoch: „Aha. Da liegt also der Grund: Mein Bauch ist ihm zu groß.“ Schlagartig schossen tausend weitere Gedanken durch meinen Kopf: „Was ist, wenn diese Kugel von Bauch nach der Schwangerschaft einfach nicht wieder weggeht? Was, wenn ich nie wieder so aussehe wie zuvor?“

Im Geiste spürte ich schon wie der brüderliche Gute-Nacht-Kuss auf die Stirn unser neues und einziges Abendritual wurde. Ich sah uns aus zwei getrennten Zimmern zuwinken, bevor wir jeweils das Licht löschten. Grauenhafte Visionen.

Schwangerschaft: das Top Verhütungsmittel für Sex?

Nach ein paar Tagen raffte ich mich auf und erzählte meinem Mann von meinen Befürchtungen. Er widersprach und war wie ausgewechselt. Wir hatten Spaß und viele schöne Momente zusammen, gingen aber einfach nicht bis zum Äußersten. So war alles gut – für uns beide.

Gegen Ende der Schwangerschaft war es dann andersherum: ich fühlte mich wie ein Walross an Land. Plump und unförmig. Da hatte ich dann keine große Lust mehr auf Sex. Ich fühlte mich unattraktiv. Was aber in dieser Phase sehr schön war: Wir tauschten viele Gefühle, Befürchtungen und Erwartungen aus: „Werden wir gute Eltern sein? Was ist, wenn…?“ Das schweißte uns noch einmal auf einer anderen als der physischen Ebene zusammen.

Und die gute Nachricht zum Schluss: Der Bauch ging wieder weg, die Lust kam zurück – wenn auch nicht ganz so rasch wie erhofft.

Babett Ramsauer ist leitende Oberärztin an der Klinik für Geburtsmedizin Vivantes Klinikum Berlin, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Gründerin von GYN TO GO. Elternleben.de hat sie zum Thema Sex in der Schwangerschaft interviewt.

VIELE FRAUEN SAGEN, DASS SIE WÄHREND DER SCHWANGERSCHAFT DEUTLICH MEHR LUST AUF SEX HATTEN ALS ZU ANDEREN ZEITEN. WORAN LIEGT DAS?

Babette Ramsauer: Nachdem die Frauen die erste Phase der Schwangerschaft mit Übelkeiten und dergleichen überstanden haben, fühlen sie sich meistens mit ihrem neuen Körpergefühl wohl. Die Frauen sind stolz auf ihre größer werdende Brust und ihren größer werdenden Bauch. Sie fühlen sich selbst attraktiver und empfinden aus diesem Grund mehr Lust und fordern diese auch mehr ein. Hinzu kommen außerdem hormonelle Veränderungen, die das Lustempfinden positiv beeinflussen.

WERDENDE VÄTER ZIEHEN SICH DAGEGEN NICHT SELTEN ZURÜCK. SIE BEFÜRCHTEN, DAS BABY KÖNNE BEIM SEX VERLETZT WERDEN. IST DIESE SORGE BERECHTIGT?

Das macht Männern wirklich Sorgen. Allerdings vollkommen grundlos. Das Baby kann im Bauch beim Sex nicht verletzt werden. Doch die Vorstellung vieler Männer, dass sie beim Sex sehr dicht beim Kind sind, ist ihnen offensichtlich nicht geheuer. Deswegen empfinden sie Angst.

IST ES MÖGLICH, DASS BEIM SEX WEHEN AUSGELÖST WERDEN ODER DASS INFEKTIONEN ÜBERTRAGEN WERDEN?

Ja, männliche Samenflüssigkeit hat eine wehenfördernde Wirkung. Aber erst dann, wenn die Gebärmutter bereit für Wehen ist. Das heißt, Sex ist eine Art Hausmittel um die Geburt „anzustupsen“, wenn der Geburtstermin schon überschritten ist. Ich rate immer zu Bewegung, zu Sex oder dazu, in die Badewanne zu gehen. Aber erst, wenn das Baby so weit ist, können Wehen ausgelöst werden. Was Infektionen betrifft, die können beim Sex immer übertragen werden; nicht nur während der Schwangerschaft.

SPÜRT DAS BABY ETWAS?

Die Bewegungen lassen es schaukeln. Ansonsten ist es gut geschützt und spürt höchstens, dass es den Eltern gut geht.

WANN RATEN SIE ZUM VERZICHT AUF SEX WÄHREND DER SCHWANGERSCHAFT?

Es gibt Risikoschwangere, die zu vorzeitiger und gefährlicher Wehentätigkeit neigen. Diese Frauen haben beispielsweise einen deutlich verkürzten Muttermund oder unter Umständen sogar einen offenen Muttermund. Diese Frauen sollten keinen Geschlechtsverkehr haben. Petting und Ähnliches ist kein Problem, da der Orgasmus nicht so starke Wehen auslöst, dass dadurch eine vorzeitige Geburt zu erwarten wäre.

WORAUF MUSS BEIM SEX IN DER SCHWANGERSCHAFT GEACHTET WERDEN?

Worauf man auch sonst achtet: Es soll Spaß machen! Man muss natürlich gucken, wie man mit dem dicker werdenden Bauch zurecht kommt. Dazu sollten Positionen gewählt werden, die für beide Partner bequem und schön sind. Wünschenswert ist eine entsprechende Offenheit gegenüber dem Partner, also insgesamt auch nichts anderes als außerhalb der Schwangerschaft.

GIBT ES BEI MÄNNERN, NEBEN DEN MEDIZINISCHEN BEFÜRCHTUNGEN, NOCH ANDERE GRÜNDE FÜR DEN SEXUELLEN RÜCKZUG?

Männer durchleben in der Schwangerschaft in gewisser Weise harte Zeiten. Die Frauen schwelgen in ihren Hormonen und freuen sich auf das Kind, sie spüren es und leben sehr in dieser Welt. Besonders während der Schwangerschaft fühlen sie etwas Freudiges und Erwartungsvolles.

UND DAS EMPFINDEN MÄNNER NICHT SO?

Männer haben diesen hormonellen Schnitt nicht und empfinden in der Schwangerschaft, was die Frauen eigentlich erst nach der Geburt denken: Wie sich das Leben ändern wird und was alles passieren könnte. Aus diesem Grund entfernen sich manche Männer von ihren Frauen, da sie deren hormonell bedingte Denkweise nicht nachvollziehen können.

KANN MAN DAS AN KONKRETEN SITUATIONEN FESTMACHEN?

Wenn zum Beispiel die Frau sagt “Fühl mal, es bewegt sich.” Und der Mann merkt unter Umständen gar nichts und steht ein bisschen blöd daneben. Da baut sich eine Distanz auf, für die Männer eigentlich gar nichts können, weil sie das Kind nicht in sich tragen und die hormonellen Veränderungen nicht spüren. Häufig ziehen sie sich deswegen in der Phase der Schwangerschaft zurück.

WAS RATEN SIE PAAREN FÜR EINE ERFÜLLTE SEXUALITÄT WÄHREND DER SCHWANGERSCHAFT? WAS KÖNNEN FRAUEN TUN, WAS MÄNNER?

Am Wichtigsten ist, dass die Partner sich ihre unterschiedlichen Gefühle zugestehen und Wünsche sowie Empfindungen aussprechen. Eine Frau sollte offen sagen, dass sie jetzt Lust hat. Und ihr Partner soll ebenso offen von seiner Befürchtung sprechen, etwas kaputt zu machen. Oder dass er nicht weiß, wie es mit dem dicken Bauch gehen soll. Mit viel Offenheit wird ein Paar zu einer erfüllten Sexualität finden.

WARUM IST EINE ERFÜLLTE SEXUALITÄT IN DER SCHWANGERSCHAFT SO WICHTIG?

Gerade die Sexualität ist wirklich ganz wichtig, um auch in der Phase nach der Schwangerschaft miteinander klarzukommen. Nach der Geburt haben die Frauen zunächst diese körperliche Nähe mit ihren Babys, sie stillen und haben so etwas Schönes an der Brust. Sie knuddeln ihr Baby und empfinden Wärme und Zärtlichkeit Da steht der Mann häufig daneben und kann das alles nicht so intensiv mitempfinden. Wenn dann vorher schon eine lange Zeit der Schwangerschaft ohne erfüllte Sexualität verlaufen ist, ist die Beziehungen gefährdet. Küssen, Streicheln, gemeinsam Lachen und vor allem offenes miteinander Reden über Ängste und Vorfreude sind jetzt wichtig.

Dieser Artikel ist zuerst auf Elternleben.de erschienen.

Weitere interessante Beiträge
Traurige Frau
Weiterlesen

Papa, ich verzeihe dir

Als unsere Autorin ein Baby war und im Krankenhaus um ihr Leben kämpfte, verließ ihr Vater die Familie. Im Alter von 20 Jahren erfuhr sie, was damals alles passiert ist und brach den Kontakt zu ihrem Vater für fast ein Jahr ab. Heute ist unsere Autorin 30 Jahre alt und reflektiert die schwierige Vater-Tochter-Beziehung in einem Brief.